Wir sprechen mit Mag. Barbara Haid, MSc, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie über das neue Psychotherapiegesetz, die Akademisierung der Psychotherapie, aktuelle Kampagnen und Initiativen und wie die Pandemie den Blick auf die mentale Gesundheit verändert hat.
33 Jahre nach der ersten gesetzlichen Regelung für die Berufstätigkeit und Ausbildung der Psychotherapie in Österreich wurden 2024 nun notwendige Anpassungen, was die Berufsausübung, aber vor allem die Ausbildung betrifft, vorgenommen. Diese Änderungen treten im Laufe der kommenden zwei Jahre in Kraft. Was genau angepasst wurde, wie sich die neue gesetzliche Regelung auf bereits praktizierende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie künftige Studierende auswirkt und welche Projekte, neben weiteren gesetzlichen Anpassungen der Berufsvertretung sonst noch aktuell unter den Nägeln brennen, darüber haben wir mit Mag. Barbara Haid, MSc, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie, gesprochen.
Im April 2024 wurde, 33 Jahre nachdem die psychotherapeutische Berufstätigkeit erstmals in Österreich gesetzlich geregelt wurde, ein neues Psychotherapiegesetz beschlossen. Warum wurde hierbei Ihrer Meinung nach so lange nichts angepasst?
Als das Psychotherapiegesetz 1991 in Kraft getreten ist, war es revolutionär. Es war das erste Gesetz dieser Art weltweit und dass wir damals, als im Vergleich zur Medizin oder auch der Psychologie relativ junge Wissenschaft, ein so ausgereiftes Gesetz bekommen haben, war außergewöhnlich. Dementsprechend hat das Gesetz der Psychotherapie rund 20 Jahre einen sehr guten Dienst erwiesen. Doch seit rund zehn Jahren plädieren wir vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie dafür, dass es Novellierungen und Veränderungen braucht, vor allem im Bereich der Ausbildung. Eine Veränderung hin zu einer akademisierten Grundausbildung im Sinne eines gehobenen Gesundheitsberufes.
Warum ist eine Eingliederung in den Universitätsbetrieb so wichtig?
Zum einen bringt die Ausbildung aller zukünftigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten innerhalb der Bologna-Architektur eine Anhebung auf ein über alle Schulrichtungen der Psychotherapie durchgängiges hohes wissenschaftliches Niveau. Noch wichtiger ist aber der Umstand, dass es zum anderen eine Demokratisierung beim Zugang zur Ausbildung der Psychotherapie gibt. Diese war bislang mit hohen Kosten in einem Rahmen zwischen 30.000 und 70.000 Euro verbunden, die zur Gänze von den Auszubildenden selbst zu bezahlen waren. Mit der Veränderung im Psychotherapiegesetz wird die Ausbildung aufgrund von Bachelor- und Masterstudiengängen, die an öffentlichen Universitäten mit Geldern der öffentlichen Hand finanziert werden, definitiv erschwinglicher und für mehr Menschen zugänglicher werden. Denn so fallen in Zukunft für Bachelor und Master lediglich die Studiengebühren an.
Wie sieht es mit dem dritten Ausbildungsteil aus, der von den Auszubildenden bei den Fachgesellschaften absolviert wird?
Im dritten, sogenannten postgradualen Abschnitt ist nach wie vor mit Kosten zu rechnen. Die Selbsterfahrung, Supervision, aber auch methoden- und clusterspezifische Theorieeinheiten und -blöcke müssen weiterhin von den Auszubildenden selbst bezahlt werden. Rein theoretisch wäre es allerdings durchaus möglich, auch diesen Abschnitt der Ausbildung von der öffentlichen Hand finanziert zu bekommen. Wenn den Fachgesellschaften die ihnen entstehenden Kosten für die Ausbildungen zukünftiger Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten von der öffentlichen Hand gefördert werden, so wie es auch bei der fachärztlichen Ausbildung im Bereich Medizin der Fall ist, könnte der Ausbildungsweg der Psychotherapie final für möglichst alle, die dieses Fachgebiet interessiert, zugänglich gemacht werden.
Zurück zu den aktuellen Neuerungen im Gesetz: Es gibt auch Konkretisierungen beim Berufsbild, bei der Ausübung und den Pflichten. Wie sehen diese genau aus?
Es handelt sich dabei um Verfeinerungen. Jene Berufspflichten und -rechte, die jetzt unter § 6 auf den Punkt gebracht werden, waren im alten Gesetz auch bereits enthalten. Es wurde lediglich das, was im alten Gesetz eher umschrieben wurde, konkretisiert. Wir stellen bereits seit 33 Jahren Diagnosen, schreiben Gutachten oder definieren Behandlungsprozesse, aber nun steht all das nochmals klar definiert im Gesetzestext drinnen.
Wann tritt das neue Gesetz in Kraft?
Das neue Psychotherapiegesetz tritt am 01. Januar 2025 in Österreich in Kraft. Die öffentlichen Universitäten werden ab Oktober 2026 mitziehen und die ersten Masterstudienplätze anbieten. Private Universitäten können solche Studienplätze bereits ab 01. Januar 2025 anbieten. Das könnten die öffentlichen Universitäten natürlich rein theoretisch auch, doch erst ab Oktober 2026 ist die Studienplatzfinanzierung gewährleistet, worauf private Unis ja nicht angewiesen sind. Zudem müssen natürlich neue Curricula geplant und geschrieben werden, was Zeit braucht. Hier gibt es momentan eine sehr dynamische Entwicklung, da noch nicht klar ist, welche Universitätsstandorte die Studienplätze erhalten und dann anbieten werden. Es laufen aktuell sehr viele Gespräche zwischen dem Wissenschaftsministerium und den Universitäten, wo wir als Berufsverband und die Fachgesellschaften, die diese Ausbildung seit nunmehr 33 Jahren anbieten, natürlich beratend zur Seite stehen.
Ist bereits klar, wie viele Studienplätze es insgesamt in Österreich geben wird?
Es wird zum Start 500 Studienplätze für die öffentlichen Universitäten geben, wobei ich davon ausgehe und hoffe, dass sich diese Zahl im Laufe der Jahre kontinuierlich erhöhen wird.
Wie lange wird ein Studium im Bachelor und Master dauern?
Zusammen werden die Studien mit 180 und 120 ECTS zusammen in etwa fünf bis sechs Jahre dauern, wie es bei den meisten Bachelor- und Masterstudien der Fall ist. Es ist auch so, dass manche Universitäten planen, in Zukunft nicht nur einen Master-, sondern auch einen Bachelorstudiengang in Psychotherapie anzubieten. Bis es soweit ist, ist es aber natürlich möglich, sich über verschiedene andere Bachelorstudien für den Master in Psychotherapie zu bewerben.
Welche Studiengänge werden das sein?
Einige sind hier bereits gelistet. Neben Psychologie sind Medizin, aber auch MTD-Berufe eine mögliche Basis für den Master. Man muss sich natürlich immer genau ansehen, welche psychotherapierelevanten Inhalte es in dem jeweiligen Bachelorstudium gibt. Hier wird Psychologie zweifelsohne die meisten Übereinstimmungen haben. Es gibt aber auch schon Studiengänge im Bereich der Bildungswissenschaften mit Überschneidungspunkten, z. B. an der Universität Innsbruck, wo es seit einigen Jahren einen Schwerpunkt in Grundlagen der Psychotherapie gibt. Zudem kooperieren viele Fachgesellschaften bereits jetzt mit Universitäten und bieten sogenannte Universitätslehrgänge an. Diese wird man sicherlich zum Teil adaptieren und diese in das neue Masterstudium integrieren können.
Wird es einen Aufnahmetest für das Masterstudium Psychotherapie geben und wenn ja, wie wird dieser aussehen?
Es wird sicherlich einen großen Run auf die Studienplätze geben, es wird also gar nicht anders möglich sein, als ein Aufnahmeverfahren einzurichten. Ich gehe davon aus – und das ist auch die dringende Empfehlung – dass der Test in zwei Phasen aufgeteilt wird. Zum einen soll es einen Wissenstest geben, zum anderen einen Test, der die sozialen und emotionalen Kompetenzen beleuchtet und zeigt, wie empathisch und schwingungsfähig der Mensch ist, der sich für den Studienplatz bewirbt. Ob diese zweite Phase des Aufnahmeprozesses dann in Form von Assessment-Centern oder persönlichen Einzelgesprächen stattfinden wird, steht noch in den Sternen und wird sicherlich eine logistische Frage sein. Grundsätzlich obliegen die Aufnahmeverfahren aber der Autonomie der Universitäten.
Die Fachgesellschaften haben im Bereich von Auswahlverfahren jahrelange Erfahrung. Werden diese den Universitäten beratend zur Seite stehen?
Sowohl wir, der Bundesverband als auch die Fachgesellschaften stehen den Universitäten sehr gerne beratend zur Seite. Unsere Idealvorstellung wäre natürlich, dass sich Menschen, die sich für einen Masterstudienplatz bewerben, auch gleich parallel um einen Platz in einer der Fachgesellschaften bemühen, wo sie dann spätestens im dritten Abschnitt ihre postgraduelle Ausbildung absolvieren. Wenn sie im Vorfeld bereits einen solchen Ausbildungsplatz vorweisen können, ist das sicher ein Vorteil für beide Seiten. Die Universität wird so bei der Vorauswahl der Studierenden unterstützt und diese können sich theoretische Teile des Masterstudiums für den postgraduellen Abschnitt anrechnen lassen.
Wird es die Möglichkeit geben, das Masterstudium berufsbegleitend zu absolvieren?
Das obliegt der Autonomie der Universitäten, wobei ich in den Gesprächen mit den Rektorinnen, Rektoren und leitenden Personen der neuen Studiengänge sehr wohl Interesse gehört habe, diesen Studiengang auch berufsbegleitend anzubieten.
Kann das bisherige Propädeutikum ebenso wie das Bachelorstudium als Grundlage für ein Masterstudium herangezogen werden?
Auch das ist eine Angelegenheit, die seitens der Universitäten geregelt wird. Für gewöhnlich hat das Propädeutikum zu wenige ECTS, um mit einem Bachelorstudium gleichgesetzt zu werden. Hier wird es voraussichtlich ein Bachelorstudium als Basis benötigen, es gibt aber an manchen Universitäten auch jetzt bereits Universitätslehrgänge, mit denen man die Grundvoraussetzungen in Kombination mit einem Propädeutikum dann auch erfüllen würde. Das müssen sich Interessierte dann jeweils für die von ihnen gewählte Universität ansehen oder sich dort beraten lassen.
Empfehlen Sie Menschen, die jetzt gerade mit einer Ausbildung im Bereich Psychotherapie beginnen möchten oder begonnen haben, direkt zu starten bzw. weiterzumachen oder zu warten, bis das neue Studienmodell startet?
Das ist eine sehr individuelle Entscheidung. Ich rate den Menschen, kurz innezuhalten und sich zu überlegen, wie viel Zeit und Ressourcen sie für ihre Ausbildung zur Verfügung haben. Die ersten Masterstudiengänge starten erst im Oktober 2026 und die Chance, einen der ersten 500 Plätze zu ergattern, ist nicht 100-prozentig gegeben. Gesetzt den Fall, man bekommt einen Platz, dann folgen zwei Jahre Masterstudium und anschließend zwei bis vier Jahre postgraduelle Ausbildung. Dann sind wir mitunter bereits im Jahr 2032. Wenn die Ausbildung jetzt normal fortgesetzt wird, dann ist man 2032 bereits längst eingetragene Psychotherapeutin oder eingetragener Psychotherapeut. Falls man sich dann später dazu entscheidet, trotzdem diesen akademischen Abschluss als Master draufsetzen zu wollen, wird das sicher möglich sein. Ich denke, dass es hier vor allem zu Beginn viele kreative Kombinationen und Möglichkeiten geben wird.
Sicherlich fragen auch viele bereits fertig ausgebildete und praktizierende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, ob sich für sie durch das neue System etwas ändert.
Ja, diese Frage erhalten wir aktuell oft. Nein, es ändert sich nichts. Auch alle, die sich gerade mitten in der Ausbildung befinden, können diese komplett im alten System abschließen, wenn sie das möchten. Die Übergangsfristen von einem Ausbildungsmodell zum anderen sind mit 15 Jahren bemessen. So lange ist es also möglich, im bisherigen Modell seine Ausbildung zu machen.
Ist der ÖBVP mit den Anpassungen des Gesetzes zufrieden?
Der Verband ist sehr zufrieden. Ich würde eine Note von 1,5 vergeben. Das einzige was wir uns aktuell zusätzlich gewünscht hätten, wäre von vornherein auch fix ein Bachelorstudium Psychotherapie gewesen.
Gibt es offene Punkte, deren Umsetzung Sie sich für die nahe Zukunft wünschen?
Da gibt es ein paar. Der Wichtigste ist mit Sicherheit, wie bereits angesprochen, die Finanzierung des dritten postgraduellen Ausbildungsabschnittes aus Geldern der öffentlichen Hand. In der Öffentlichkeit wird sehr oft das Bild vermittelt, dass sich die Fachgesellschaften und die ausbildenden Lehrtherapeutinnen und Lehrtherapeuten eine goldene Nase mit diesem Ausbildungsabschnitt verdienen. Das ist so einfach nicht richtig. Es handelt sich hierbei um eine sehr intensive theoretische und praktische Ausbildung, bei der man sehr viel Arbeit ehrenamtlich macht.
In diesem Zusammenhang sollte es auch für Therapiesitzungen bei Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung unter Supervision von der Krankenkasse Rückerstattungen geben. Das wäre eigentlich PatientInnen-Recht, muss aber aktuell aus eigener Tasche bezahlt werden.
Ein weiterer Punkt für das Psychotherapiegesetz sind die Ausbildungsstellen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Fachausbildung unter Lehrsupervision. Hier braucht es wesentlich mehr Stellen in Krankenanstalten, psychiatrischen und psychosomatischen Organisationen und in Reha-Einrichtungen und das muss von den Bundesländern finanziert werden. Zudem benötigt man dann natürlich auch ausreichend Personal, um die angehenden Fachkräfte auszubilden.
„Von Seiten der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wird eine adäquate Honorierung gefordert. Aktuell kann es sich niemand leisten, komplett in die kassenfinanzierte Psychotherapie zu gehen, weil der Tarif nicht ausreichend kostendeckend ist.“
Gibt es für all diese offenen Themen einen Beirat für Berufsangelegenheiten?
Das ist ein weiterer sehr guter Punkt am neuen Gesetz: Es gibt neben dem Psychotherapie-Beirat nun auch ein Gremium für Berufsangelegenheiten, das dem Gesundheitsministerium beratend zur Seite steht und auch zusammen mit dem Gesundheitsministerium mit anderen Versorgungs- und Sozialpartnern in Verhandlung treten kann. Es gibt rund 12.000 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Österreich und die können jetzt besser vertreten werden, wenn es z. B. um gewerkschaftliches Handeln oder die Rahmenbedingungen des Berufsstandes geht. Wir hätten uns ja gewünscht, eine Körperschaft öffentlichen Rechts zu werden, aber mit dem Beirat sind wir unseren Wünschen schon einen großen Schritt näher und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Was fordert der Verband in Bezug auf die kassenfinanzierte Psychotherapie?
Von Seiten der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wird eine adäquate Honorierung gefordert. Aktuell kann es sich niemand leisten, komplett in die kassenfinanzierte Psychotherapie zu gehen, weil der Tarif nicht ausreichend kostendeckend ist. Dieser Umstand führt zu jenem wichtigen Punkt, den wir für die Seite der Patientinnen und Patienten fordern: sehr viel mehr kassenfinanzierte Psychotherapie-Plätze. Aktuell gibt es dabei gleich zwei Probleme. Zum einen der eben angesprochene Umstand, dass es sich viele Psychotherapeutinnen und -therapeuten nicht leisten können, gänzlich nur Kassenplätze anzubieten und zum anderen, dass diese Plätze aktuell in manchen Bundesländern wie z. B. in Tirol oder Salzburg nur an schwer- und schwerstkranke Menschen vergeben werden. Jemand mit einer leichten Depression hat also aktuell kaum die Möglichkeit, einen Kassenplatz zu bekommen. Eine flächendeckende kassenfinanzierte Psychotherapie zu fairen Rahmenbedingungen, die Vorsorge und eine frühe psychotherapeutische Beratung und Behandlung für möglichst alle Menschen in Österreich, die diese benötigen ermöglicht, ist hier das Ziel. Dazu gibt es jetzt im Herbst auch eine Neuauflage unserer Kampagne “Mehr Psychotherapie jetzt – Weil die Gesundheit nicht warten kann”.
Bei dieser Gelegenheit, möchte ich gerne noch auf die weiteren derzeit laufenden Projekte des ÖBVP zu sprechen kommen, allen voran “Gesund aus der Krise”.
Es ist ein echtes Leuchtturmprojekt und wir freuen uns sehr, dass die Initiative in diesem Jahr bereits zum dritten Mal verlängert und um 10.000 Plätze aufgestockt wurde.
Es handelt sich dabei um ein vom BMSGPK gefördertes Projekt, das vom BÖP (Berufsverband Österreichischer PsychologInnen) in enger Kooperation mit dem ÖBVP abgewickelt wird. Die Anmeldung zum Projekt erfolgt ganz einfach über die Website gesundausderkrise.at. Dort werden die Daten der betroffenen Kinder, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen eingegeben, zudem können eine Einzel- oder Gruppenbehandlung, eine Online-Beratung, das präferierte Geschlecht der behandelnden Person gewählt sowie Angaben über die Anreisemöglichkeiten gemacht werden. In einem Bereich für Anmerkungen kann das zu behandelnde Problem näher ausgeführt werden. Dann wird der oder die Betroffene innerhalb eines Monats mit Beraterinnen und Beratern aus dem Bereich Psychotherapie, klinischer Psychologie, Gesundheitspsychologie oder Musiktherapie gematcht und es erfolgt die Kontaktaufnahme. Jeder und jedem zwischen 0 und 21 Jahren stehen dann bis zu 15 Einheiten für Beratung und Behandlung kostenlos zur Verfügung. Fünf Stunden können zusätzlich ergänzt werden und natürlich kann bei tiefersitzenden Problemen eine längerfristige Psychotherapie angeleitet werden, doch wir sehen, dass für 80 Prozent der Rat- und Hilfesuchenden die 15 Einheiten sehr gut ausreichen.
Gibt es noch weitere Projekte speziell für Kinder und Jugendliche?
Unser Programm fit4SCHOOL setzt sich dafür ein, dass Schulpsychotherapeutinnen und -therapeuten zu fixen Zeiten die Bereiche Medizin, Psychologie und Sozialarbeit, die an den Schulen zumeist ja bereits vertreten sind, ergänzen und den SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern möglichst niederschwelligen und kostenlosen Zugang zu psychotherapeutischer Beratung zukommen lassen. Dazu gibt es aktuell schon Pilotprojekte mit Gymnasien, sowie Volks- und Mittelschulen in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und dem Burgenland. Diese werden aktuell aber nicht aus öffentlicher Hand bezahlt, sondern über viele kreative Modelle von den jeweiligen Schulen selbst. Seitens der Bildungsdirektion wurde diese Initiative großteils abgelehnt, mit der Begründung, dass man gut versorgt sei und sie nicht benötigen würde. Die Pilotprojekte haben allerdings gezeigt, dass die Beratungen sehr gut angenommen und die Initiative so gut wie überall verlängert wurde. Teil diese Projektes ist auch eine fit4SCHOOL Hotline bei der SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen werktags von 14.00 bis 15.00 Uhr unter +43 5 125 617 34 kostenlose, anonyme und vertrauliche psychotherapeutische Beratung in Anspruch nehmen können.
Sehen Sie, dass die Nachwehen der Pandemie-Jahre zu einer gesteigerten Nachfrage nach psychotherapeutischer Beratung und Behandlung geführt haben?
Definitiv. Bereits im ersten Pandemie-Jahr gab es einen Anstieg von 25 Prozent, aber die große Welle kommt in solchen Fällen immer erst zeitverzögert. Es gibt das schöne Sprichwort: „Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis uns unsere Seelen wieder eingeholt haben.“ Unsere Seelen sind nach dieser Zeit oft noch ganz woanders und das spüren viele Menschen aktuell. Wir sehen also zum einen, dass mehr Leute als früher Hilfe benötigen, das Gute dabei ist aber, dass sie diese immer früher suchen. Die Pandemie hat dabei geholfen, sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene Tabus rund um das Thema mentale Gesundheit aufzubrechen, eben weil es sehr viele Menschen unmittelbar betroffen hat.
Hier erfährst Du mehr über die psychischen Nachwirkungen der Corona-Krise.
Merkt man bei diesem Thema nach wie vor einen Generationenunterschied?
Die ganz junge Generation und die 20- bis 35-Jährigen sind sehr offen, was psychotherapeutische Beratung und Behandlung betrifft. Seit Ende der Pandemie sehen wir, dass sich auch die Zahl der Menschen der Generation X, die sich Hilfe suchen, erhöht hat. Vor allem die der Männer. Bei der Generation 65 Plus ist zu sehen, dass viele Hausärztinnen und -ärzte mittlerweile noch sensibler an das Thema mentale Gesundheit herangehen und ihre langjährigen Patientinnen und Patienten dann auch mal zu einer psychotherapeutischen oder klinisch-psychologischen Beratung und Behandlung weiter überweisen. Zudem gibt es in vielen Alters- und Pflegeheimen mittlerweile psychosoziales Personal. Das sind alles sehr positive Entwicklungen, an die wir anknüpfen möchten.
„Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis uns unsere Seelen wieder eingeholt haben.“
Sprichwort der Urvölker Amerikas
Können Sie uns etwas über kommende Kampagnen verraten?
Im Sinne weiterer Aufklärung möchten wir den Menschen näherbringen, wo die Unterschiede zwischen den drei Gesundheitsberufen der Psychotherapie, Psychiatrie und Psychologie liegen. Dass es hier Unklarheiten gibt, sehen wir z. B. an Gesprächen rund um die neue Regelung, die Zuschüsse von den Krankenkassen bei klinisch-psychologischen Behandlungen erlaubt. Dann kommt oft die Aussage, dass Psychotherapie jetzt von der Kasse bezahlt wird und wenn ich dann aufkläre, dass das schon seit mehr als 30 Jahren der Fall ist, kommt oft die große Überraschung, dass es sich dabei um zwei verschiedene fachliche Bereiche handelt.
Sicher kein leichtes Unterfangen, da es Bereiche sind, die miteinander verknüpft und doch sehr verschieden sind.
Ich habe dafür nach einem Beispiel gesucht, anhand dessen man die Erklärungen möglichst plastisch und alltagsnah darstellen kann und bin dabei beim Auto gelandet. Die Psychologie ist dabei der Bereich, der repariert, wenn der Lack in Mitleidenschaft geraten ist oder sich erster Rost angesetzt hat. Die Psychotherapie wirft einen Blick unter die Motorhaube, verdrahtet die Teile neu, findet neue Verbindungen, damit der Motor wieder läuft. Die Psychiatrie widmet sich der Karosserie und dem Treibstoff, also dem Grundgerüst des Autos, analysiert, fügt neue Flüssigkeiten hinzu, um ein Gleichgewicht herzustellen, das dem Auto hilft, ruhige Fahrt aufnehmen zu können.
Mehr Infos findest du unter psychotherapie.at
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