Zellbiologin Corina Madreiter-Sokolowski beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit den Mitochondrien und wie sie die Alterung der Zelle beeinflussen. Zellbiologin Corina Madreiter-Sokolowski beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit den Mitochondrien und wie sie die Alterung der Zelle beeinflussen.

Jungbleiben bis in die Zelle: Zellbiologin Corina Madreiter-Sokolowski ĂĽber die Biologie des Alterns

Was verlangsamt den Alterungsprozess wirklich – und was ist nur Longevity-Marketing? Die Grazer Zellbiologin Corina Madreiter-Sokolowski erklärt, was unsere Zellen altern lässt und wie wir unsere gesunde Lebensspanne verlängern können.

Altern ist ein komplexer Prozess, den wir bis zu einem gewissen Grad beeinflussen können. Doch zwischen seriöser Forschung und viralen Longevity-Versprechen verschwimmen die Grenzen zunehmend: Social Media propagiert täglich neue „Wundermittel“, während die Wissenschaft deutlich vorsichtiger formuliert.

Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in Mag.a pharm. Corina Madreiter-Sokolowski, Ph.D. forscht an der Medizinischen Universität Graz genau an diesen Schnittstellen. Als Zellbiologin untersucht sie zusammen mit ihrem Forschungsteam, wie Mitochondrien, Kalziumhomöostase und Sauerstoffradikale den Alterungsprozess auf molekularer Ebene steuern – und wie sich diese Mechanismen gezielt beeinflussen lassen, um die Gesundheitsspanne zu verlängern. Ihre Arbeit reicht von hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie in Zellmodellen über Experimente an Fadenwürmern bis hin zu translationalen Ansätzen bei altersbedingten Erkrankungen und Krebs.

Im Interview spricht sie über die biologischen Grundlagen des Alterns, erklärt, warum Lifestyle-Faktoren nach wie vor die wirksamsten „Longevity-Tools“ sind, warnt vor unkritischem Supplement-Konsum und ordnet aktuelle Anti-Aging-Trends wissenschaftlich ein. Außerdem gibt sie Einblicke in ihre laufenden Forschungsprojekte – und in ihr neues Buch „Der Code zum Jungbleiben“, das Ende Dezember erscheint und Grundlagenforschung mit medizinischer Praxis verbindet.

Ein Gespräch über Healthy Aging statt ewige Jugend, über Evidenz statt Hype – und darüber, wie wir heute die Weichen für gesunde Jahre von morgen stellen können.

Was hat Sie persönlich zur Forschung am molekularen Altern geführt – gab es einen Moment oder eine Erkenntnis, die Ihren Weg besonders geprägt hat?

Mich hat das Innere der Zellen schon während der Schulzeit in der Unterstufe fasziniert – all das, was wir mit freiem Auge nicht sehen, das aber für jeden von uns einen enormen Unterschied macht. Aufgewachsen im Salzburgerland war ich von universitärer Forschung zunächst recht weit entfernt, also habe ich jedes Biologiebuch verschlungen, das ich in die Finger bekommen konnte, und mich schließlich für ein Pharmazie-Studium und danach ein Doktorat entschieden.

Über erste Zellkultur-Experimente und meine Zeit an der ETH Zürich bin ich dann beim Altern als Forschungsschwerpunkt gelandet – mit dem Wunsch, eines Tages einen wirklich sinnvollen „Anti-Aging“-Wirkstoff zu entwickeln.

Wenn Sie Ihre Begeisterung fĂĽr das Thema in einem Satz zusammenfassen mĂĽssten: Was fasziniert Sie am Altern auf molekularer Ebene am meisten?

Dass winzige Veränderungen in der Zelle – in Mitochondrien, in der Kalziumhomöostase, Schäden an der DNA etc. – letztlich den entscheidenden Unterschied machen, wie schnell unser Körper altert, und dass wir viele dieser Prozesse durch unseren Lifestyle steuern können.

Wenn wir das Altern auf der Zellebene betrachten: Welche zentralen Prozesse laufen dabei ab?

Wir haben mehr als 400 verschiedene Zelltypen in unserem Körper – z. B. Muskelzellen, die eine Muskelkontraktion erlauben, oder auch Endothelzellen, welche unsere Gefäße auskleiden. So verschieden die Funktion dieser Zellen ist, so verschieden altern die Zellen auch. Es gibt aber auch manche Eigenschaften, die von vielen Zellen gezeigt werden – z. B. Schäden und Veränderungen an der DNA, fehlerhafte EiweiĂźstoffe und ineffiziente Kraftwerke der Zellen, sprich Mitochondrien. 

Durch diese molekularen Veränderungen verlieren die Zellen mit dem Altern ihre Funktions- und Regenerationsfähigkeit, wodurch letztlich Fehlfunktionen in Organen und Erkrankungen entstehen.

Welche Rolle spielen die Mitochondrien als „Kraftwerke der Zelle“ – und warum sind sie so entscheidend für die Geschwindigkeit des Alterns?

Mitochondrien liefern den zentralen Energieträger Adenosintriphosphat, kurz ATP genannt, und produzieren gleichzeitig reaktive Sauerstoffradikale. Diese brauchen wir in kleinen Mengen als Signalmoleküle, in hoher Konzentration können sie jedoch Erbgut, Proteine und Lipide schädigen.

Geraten Mitochondrien aus dem Gleichgewicht, sinkt die Energieversorgung der Zelle, während oxidativer Stress ansteigt. Damit sind Mitochondrien entscheidende Regulatoren im Alterungsprozess – gewissermaßen „Geschwindigkeitsregler“ des Alterns.

Besonders spannend: Wir können ihre Funktion durch vergleichsweise einfache Interventionen wie regelmäßige Bewegung oder moderate Kalorienreduktion gezielt positiv beeinflussen.

Ein Schwerpunkt Ihrer Forschung liegt auf Kalziumhomöostase und Sauerstoffradikalen. Wieso sind gerade diese Mechanismen so relevant für Zellgesundheit und Lebensspanne?

In einer jungen, gesunden Zelle sind sowohl Kalzium als auch Sauerstoffradikale in einem fein austarierten Gleichgewicht.

Kalzium in den Mitochondrien ist zentral für den zellulären Energiehaushalt – in zu hoher Konzentration kann es jedoch den programmierten Zelltod auslösen. Auch Sauerstoffradikale sind wichtige Signalstoffe, die in moderater Menge nützlich sind, im Überschuss aber zu echten Zellgiften werden.

Gemeinsam mit meiner Forschungsgruppe an der Med Uni Graz untersuche ich genau diese Balance und wie wir sie gezielt beeinflussen können – mit dem Ziel, Alterungsprozesse sowie altersbedingte Erkrankungen zu verlangsamen.

Was können wir heute wissenschaftlich gesichert sagen: Welche Faktoren verlangsamen den Alterungsprozess tatsächlich?

Am stärksten belegt sind: Nichtrauchen, wenig Alkohol, Bewegung in Form einer Kombination von Kraft und Ausdauer, ausgewogene, eher pflanzenbetonte Kost, ausreichender Schlaf, Stressreduktion, gute soziale Einbindung sowie Vorsorge, um etwaige gesundheitliche Probleme vorzeitig zu erkennen. 

Wie gut lassen sich Ergebnisse aus Modellorganismen wie FadenwĂĽrmern oder aus Zellkulturen auf den Menschen ĂĽbertragen?

Experimente an spezifischen Zelltypen – etwa Endothel- oder Nervenzellen – erlauben uns, molekulare Signalwege im Detail zu untersuchen. Wir können beispielsweise fluoreszierende Biosensoren in Zellen einbringen und so in Echtzeit verfolgen, wie Kalzium zwischen Organellen ausgetauscht wird. Dieses Verständnis zellulärer Vorgänge ist die Grundlage dafür, gezielte Angriffspunkte für neue Interventionen und Wirkstoffe zu identifizieren.

Im nächsten Schritt nutzen wir Modellorganismen wie den Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Da er nur rund 30 Tage alt wird, können wir sehr effizient testen, wie sich Wirkstoffe auf Lebensspanne und Fitness auswirken. Praktisch ist, dass zentrale Signalwege des Alterns – etwa Stressantworten oder Mitochondrienfunktion – zwischen Wurm und Mensch erstaunlich gut konserviert sind.

Gleichzeitig ist klar: Vielversprechende Daten aus Zellkultur und Tiermodellen sind nur der Anfang. Wirkstoffe müssen am Menschen hinsichtlich Dosierung, Wirksamkeit und Sicherheit sorgfältig in klinischen Studien geprüft werden. Viel zu oft werden präklinische Ergebnisse für Marketingzwecke genutzt, obwohl sie noch nie an mehreren Tausend Probandinnen und Probanden getestet wurden. Dabei zeigen sich viele Nebenwirkungen erst in großen Studien.

Die Realität ist: Von etwa 5.000 Wirkstoffkandidaten aus der vorklinischen Forschung schaffen es nur rund fĂĽnf in klinische Studien – und am Ende wird maximal ein Wirkstoff zugelassen. Umso wichtiger ist es, einerseits mit guten Modellen in der Vorklinik die vielversprechendsten Substanzen herauszufiltern und andererseits durch sorgfältige klinische Testung am Menschen Wirksamkeit, Sicherheit und die richtige Dosierung abzusichern. 

Viele Menschen sprechen noch immer von „Anti-Aging“, während Sie eher „Healthy Aging“ betonen. Warum ist dieser Perspektivwechsel so wichtig?

Tatsächlich verbringen wir heute im Schnitt 10 bis 15 Jahre am Lebensende mit chronischen Erkrankungen, die unsere Lebensqualität deutlich einschränken. Es bringt also wenig, nur Lebensjahre dazuzugewinnen – entscheidend ist, dass wir mehr Jahre in guter Gesundheit erreichen.

Gerade hier hat Österreich im EU- und OECD-Vergleich Aufholbedarf: Unsere durchschnittliche Lebenserwartung liegt über dem Mittel, bei den gesunden Lebensjahren liegen wir aber zurück. Das ist besonders erstaunlich, weil wir im EU-Vergleich ein sehr gutes Gesundheitssystem haben – es aber nicht konsequent nutzen. So liegen etwa die Impfraten und die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen unter dem Niveau vieler anderer EU-Länder.

Als Grundlagenforscherin sehe ich daher einen doppelten Auftrag: Einerseits neue, gezielte Anti-Aging-Strategien auf molekularer Ebene zu entwickeln. Andererseits aber auch zu vermitteln, wie wirkungsvoll die „klassischen“ Hebel sind – etwa regelmäßige Vorsorge, Impfungen und ein gesunder Lebensstil –, wenn es darum geht, unsere gesunde Lebensspanne zu verlängern.

Das Thema „Longevity“ boomt derzeit auf Social Media. Wie beurteilen Sie diesen Trend aus wissenschaftlicher Sicht?

Er schafft Aufmerksamkeit fĂĽr Prävention – das ist per se positiv. Gleichzeitig werden aber komplexe Studien oft auf einfache „Lifehacks“ reduziert und viele Empfehlungen sind wissenschaftlich dĂĽnn oder ignorieren Risiken vollkommen. 

Oftmals werden vorklinische Daten für Marketingzwecke missbraucht – ohne dass klinische Studien zum Nachweis von Sicherheit und Wirksamkeit vorliegen. Es braucht also dringend mehr Evidenzorientierung und weniger Hype.

DafĂĽr ist es essenziell, dass Ă„rztinnen und Ă„rzte sowie Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine verlässliche Orientierung geben – und dass diese Ratschläge auf groĂźen klinischen Studien beruhen, anstatt auf Anekdoten, Social-Media-Trends und Einzelerfahrungen. 

Woran erkennt man, ob ein gepriesener Wirkstoff seriös ist – und welche Mythen halten sich besonders hartnäckig?

Die Wirksamkeit und Sicherheit eines Wirkstoffs – bzw. eines Medikaments in seiner pharmazeutischen Formulierung – müssen durch randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studien am Menschen belegt sein. Dabei wird der Wirkstoff mit einem wirkstofffreien Scheinpräparat (Placebo) verglichen. Die Zuordnung der Probandinnen und Probanden zu Wirkstoff- und Placebo-Gruppen erfolgt zufällig, um Selektionsbias zu vermeiden. Weder die Teilnehmenden noch das medizinische Personal wissen, wer welches Präparat erhält – so wird eine möglichst objektive Beurteilung ermöglicht.

Wichtig ist zudem, dass solche Studien an mehreren Zentren durchgeführt werden. Nur so können wir sicherstellen, dass die Ergebnisse auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen übertragbar sowie objektiv und reproduzierbar sind.

Wie wichtig große klinische Studien sind, zeigt das Beispiel hochdosierter Vitaminpräparate. Nach der Formulierung der „Free Radical Theory of Aging“ in den 1950er-Jahren nahm man an, dass das Abfangen freier Radikale durch Antioxidantien wie Vitamin E automatisch gesundheitsförderlich sein müsse. Erst große Studien konnten zeigen, dass Vitamin E in hoher Dosierung nicht nur keinen klaren gesundheitlichen Nutzen bringt, sondern sogar ernsthafte Nebenwirkungen haben kann.

Als Zellbiologin muss ich sagen: Gerade die unspektakulären Dinge sind auf Zellebene oft die mächtigsten. Schon eine leicht kalorienreduzierte Ernährung in Kombination mit regelmäßiger Bewegung kann die „Kraftwerke“ der Zellen – unsere Mitochondrien – so feinjustieren, dass sie effizienter Energie bereitstellen und zugleich das zelluläre Abwehrsystem gegen schädliche Sauerstoffradikale stärken.

Gleichzeitig wird im Zellkultur-Experiment aber auch drastisch vor Augen geführt, wie wir unsere Zellen effizient altern lassen können: Ethanol, Inhaltsstoffe des Tabakrauchs, Feinstaub, UV – all diese Noxen benutzen wir im Labor, um aus jungen, gesunden Zellen alte Zellen zu machen innerhalb weniger Tage. Und anhand dessen wird dann auch klar, dass es nicht nur darum geht, was wir machen sollen, sondern vor allem auch darum, was wir nicht machen sollen, um gesund zu altern.

Viele Menschen experimentieren mit Supplementen oder gar Off-Label-Medikationen. Wie riskant ist das?

Ich persönlich nehme kein einziges Supplement ohne nachgewiesenen Mangel – als Pharmazeutin und Wissenschafterin ist mir das zu heikel. Derzeit gibt es keinen einzigen Wirkstoff, der ausdrücklich für „Anti-Aging“ zugelassen ist. Hier gilt also ganz sicher nicht: „Hilft’s nix, schadet’s nix.“

Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ohne Mangelnachweis oder der Off-Label-Gebrauch potenzieller „Geroprotektiva“ außerhalb von Studien ist problematisch, weil wir Dosis, Langzeitfolgen und Wechselwirkungen beim Menschen noch nicht ausreichend kennen. Solche Anwendungen gehören in kontrollierte klinische Studien – nicht ins Selbstexperiment.

Hinzu kommt: Für Laien ist oft schwer zu erkennen, für welche Präparate tatsächlich eine solide Studienlage existiert. In der Longevity-Szene werden leider viele haltlose Versprechen von selbsternannten Expertinnen und Experten gemacht.

Darum ist mir ein Punkt besonders wichtig: die Mündigkeit der Patientinnen und Patienten. Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt gezielt, ob es für ein bestimmtes Supplement oder einen vermeintlichen Anti-Aging-Wirkstoff aussagekräftige Studiendaten gibt – und ob eine Einnahme in Ihrem individuellen Fall überhaupt sinnvoll ist, etwa weil ein echter Mangel vorliegt.

Ihre Projekte befassen sich intensiv mit der mitochondrialen Kalziumhomöostase im Alter und in Krebszellen. Welche zentralen Erkenntnisse haben Sie zuletzt gewonnen?

Wir konnten kĂĽrzlich beispielsweise zeigen, dass eine gezielte Modulation der mitochondrialen Kalziumhomöostase die Abwehr gegen schädliche Sauerstoffradikale im Alter verbessert. In unseren FadenwĂĽrmern fĂĽhrte das sowohl zu einer verlängerten Lebensspanne als auch zu mehr Fitness im Alter – ein Hinweis darauf, dass nicht nur länger, sondern auch gesĂĽnder gelebt werden kann. 

In einem weiteren Projekt ist es uns gelungen, den zellulären Mechanismus hinter den positiven Effekten von Grüntee-Inhaltsstoffen aufzuklären. Mithilfe alternder Zellen und Fadenwürmer konnten wir nachzeichnen, über welche Signalwege diese Substanzen in die zelluläre Stressantwort und den Energiestoffwechsel eingreifen.

Daneben haben wir herausgefunden, dass SchilddrĂĽsenhormone gezielt EiweiĂźstoffe hochregulieren, welche fĂĽr die Kalziumaufnahme in den Mitochondrien wichtig sind. Dadurch können diese Hormone den Stoffwechsel der Mitochondrien fine-tunen – ein Mechanismus, der vor allem fĂĽr Krebszellen relevant ist. 

Wir haben zuvor schon kurz über die Fadenwürmer gesprochen: Sie haben eine eigene Caenorhabditis-elegans-Forschungseinheit aufgebaut. Was ermöglicht dieses Modell besonders gut und warum ist es in der Alterungsforschung so wertvoll?

Der Fadenwurm ist durchsichtig, genetisch gut manipulierbar, hat viele konservierte Signalwege – und wird nur etwa 30 Tage alt. Dadurch können wir innerhalb weniger Wochen testen, wie genetische Eingriffe oder Wirkstoffe Lebens- und Gesundheitsspanne beeinflussen, bevor wir in komplexere Modelle gehen.

Die Transparenz des Fadenwurms erlaubt uns zudem auch, dass wir molekulare Signalwege mittels Fluoreszenzmikroskopie untersuchen können, weil wir die fluoreszierenden Stoffe perfekt aufnehmen können. So können wir z. B. in einem lebenden Wurm verfolgen, wie sich die Sauerstoffradikale in den Zellen verändern, wenn wir potenzielle neue Wirkstoffe austesten. 

Zelluläre Seneszenz und die Kommunikation zwischen Organellen sind große Forschungsthemen. Was macht gerade diese Bereiche so dynamisch und vielversprechend?

Seneszente Zellen sind ein zweischneidiges Schwert: Sie schĂĽtzen vor Krebs, treiben aber Alterung und chronische EntzĂĽndungen voran – sie gezielt zu entfernen oder „umzuprogrammieren“ könnte Therapien revolutionieren. 

Gleichzeitig verstehen wir immer besser, wie Mitochondrien, ER und andere Organellen über Kalzium- und ROS-Signale miteinander kommunizieren – diese Schnittstellen sind hochattraktive, bisher kaum genutzte Angriffspunkte.

Welche technologischen Entwicklungen oder Methoden verändern derzeit die Alterungsforschung am stärksten?

Einerseits erlauben uns Methoden wie die hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie, feinste Strukturen und dynamische Prozesse in einzelnen Zellen sichtbar zu machen – quasi „Live-Aufnahmen“ davon, wie Zellen altern. Andererseits ermöglichen moderne Multi-Omics-Ansätze, in großen Probensätzen gleichzeitig eine Vielzahl von Parametern zu erfassen, etwa Metabolite, Proteinexpression oder Veränderungen am Erbgut und Epigenom.

So können wir heute das Altern sowohl auf Einzelzell-Ebene hochauflösend entschlüsseln als auch mithilfe leistungsstarker Screening-Plattformen übergreifende Muster erkennen – also sehen, welche Signalwege und Mechanismen sich durch verschiedene Gewebe, Organe und Organismen hinweg wiederholen.

Im Dezember 2025 erscheint ihr Buch „Der Code zum Jungbleiben“. Worum geht es darin konkret? 

Wir erklären zunächst die Biologie des Alterns aus zellulärer und molekularer Sicht, danach die wissenschaftlichen Grundlagen von Anti-Aging-Strategien und schließlich organbezogene medizinische Ansätze – jeweils mit praktischen Wegweisern für den Alltag. Es ist also sowohl ein Grundlagenbuch als auch ein evidenzbasiertes Nachschlagewerk für konkrete Maßnahmen.

Was hat Sie und Kristina HĂĽtter-Klepp dazu motiviert, gemeinsam ein Buch ĂĽber Langlebigkeit zu schreiben?

Wir haben bei einer gemeinsamen Podiumsdiskussion im FrĂĽhjahr 2024 gemerkt, wie gut sich zellbiologische Grundlagen und hausärztliche Erfahrung ergänzen – und wie gut wir miteinander können. 

Daraus entstand der Wunsch, ein gemeinsames Buch zu schreiben, das Laborwissen und Praxis zu einem verständlichen, alltagstauglichen Konzept für gesundes Altern verbindet – ohne profitorientierte Versprechen.

Von welcher Erkenntnis aus dem Buch wĂĽnschen Sie sich besonders, dass sie in der breiten Ă–ffentlichkeit besser verankert wird?

Dass der stärkste „Longevity-Booster“ immer noch ein gesunder Lebensstil ist – idealerweise frĂĽh begonnen, aber auch später noch wirksam – und dass es dabei um die Verlängerung gesunder, nicht nur gelebter Jahre geht. 

Und: Evidenz schlägt Trend – nicht jeder Hype ist harmlos.

Wie weit sind wir realistisch davon entfernt, das Altern beim Menschen signifikant zu verlangsamen – oder sogar gezielt zu modulieren?

Ăśber Lebensstil, Risikofaktor-Kontrolle und etablierte Medikamente wie Blutdruck- oder Cholesterinsenker beeinflussen wir den Alterungsprozess bereits heute entscheidend. 

„Klassische“ Geroprotektiva wie Rapamycin-Derivate, Senolytika oder Reprogrammierungsansätze befinden sich noch ĂĽberwiegend in präklinischen oder frĂĽhen klinischen Phasen – hier reden wir eher von Jahren bis Jahrzehnten, nicht von der nächsten Saison. 

Eines ist mir aber wichtig zu ergänzen: Auch neue Anti-Aging-Strategien werden nur basierend auf einem „guten“ Lifestyle erfolgreich sein können. 

Welche großen wissenschaftlichen Fragen möchten Sie in Ihrer Forschung als Nächstes angehen?

Mich interessiert, wie genau wir unsere Mitochondrien in verschiedenen Lebensphasen fine-tunen können und welche Schalter sich pharmakologisch gefahrlos umlegen lassen. 

Zudem untersuchen wir in einem neuen Projekt – gefördert durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF – nun auch, wie sich die Mitochondrienfunktion bei einer frühkindlichen Epilepsie, dem Dravet-Syndrom, auswirkt. 

Und zum Abschluss: Was stimmt Sie trotz aller Herausforderungen und Mythen besonders optimistisch, wenn Sie an die Zukunft der Longevity-Forschung denken?

Die Geschwindigkeit, mit der wir heute molekulare Daten generieren und in klinische Konzepte ĂĽbersetzen können – und das Potenzial einer engen Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschung und Medizin. 

Wenn wir diese Dynamik mit realistischer Kommunikation und guter Präventionsarbeit verbinden, haben kommende Generationen eine echte Chance auf deutlich mehr gesunde Lebensjahre.

Gleichzeitig muss aber gesellschaftlich auch erkannt werden, dass es wichtig ist, jedem die Chance zu geben, gängige Lifestyle-Faktoren auch tatsächlich in den Alltag zu integrieren. Hier müssen sich die Rahmenbedingungen noch deutlich verbessern.

Cover des Buches "Der Code zum Jungbleiben" von Corina Madreiter-Sokolowski und Kristina HĂĽtter-Klepp.
© Springer Verlag

Infos zum Buch

Das Buch „Der Code zum Jungbleiben – Zellbiologische und medizinische Perspektiven auf die Langlebigkeit“ von Corina Madreiter-Sokolowski und Kristina Hütter-Klepp ist ab Anfang Januar 2026 im gut sortierten Buchhandel erhältlich und erscheint im Portfolio des Springer Verlags. 

Header © www.christianjungwirth.com