In den fünf Blue Zones dieser Welt werden überdurchschnittlich viele Menschen 100 Jahre oder älter. Wir haben uns die Erkenntnisse aus der Erforschung dieser Regionen näher angesehen und geben eine Anleitung zur Langlebigkeit.
Ein langes, gesundes und erfülltes Leben zu führen, das wünschen wir uns wohl alle. Doch was sind die Bausteine für ein solches Leben? Gibt es eine Anleitung, um 100 Jahre zu werden? Aufschluss darüber geben uns die Blue Zones, jene Gebiete auf der Welt, in denen überdurchschnittlich viele Menschen leben, die 100 Jahre oder älter werden.
Die erste Blue Zone
Der studierte Demograf Michel Poulain forscht auf dem Gebiet der Langlebigkeit mittlerweile seit rund 30 Jahren. Nachdem er sich zunächst mit den Überhundertjährigen in seinem Heimatland Belgien auseinandergesetzt hatte, reiste er auf Anraten eines italienischen Arztes nach Sardinien und entdeckte zusammen mit seinem Kollegen Giovanni Mario Pes die erste Blue Zone. Ihren Namen haben die Blue Zones übrigens aus einem sehr banalen Grund: Poulain kreiste die erste entdeckte Region auf einer Landkarte mit einem blauen Stift ein.
Forschung vor Ort
Poulain und Pes überprüften zunächst die Geburtsurkunden, die sich als korrekt herausstellten und begannen dann konkret, in der sardischen Gemeinde Villagrande Strisaili zu forschen. In der 3.200-Seelen-Gemeinde haben in den vergangenen Dekaden 44 Menschen gelebt, die das Alter von 100 Jahren überschritten hatten. Die beiden Wissenschaftler begannen, einen Stammbaum der Gemeinde zu erstellen, der heute rund 14.000 Datensätze umfasst. Anschließend führten sie Gespräche mit den 80- bis 100-Jährigen.
Internationale Aufmerksamkeit
Als die beiden Wissenschaftler 2004 einen Bericht zu ihren Erkenntnissen veröffentlichten, wurde der amerikanische Autor Dan Buettner auf sie aufmerksam. Ein Jahr später veröffentlichte er einen Artikel im Magazin „National Geographic“ und die Blue Zone auf Sardinien bekam die Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Poulain, Pes und Buettner taten sich zusammen, entdeckten weitere Blue Zones und machten die Erkenntnisse ihrer Forschungen für jeden begreifbar.
Die fünf Blue Zones
Mittlerweile gibt es mehr blaue Kreise auf der Weltkarte – in folgenden fünf Regionen der Welt leben überdurchschnittlich viele Menschen, die 100 Jahre oder älter sind:
- Region Barbagia | Sardinien | Italien
- Ikaria | Griechenland
- Okinawa | Japan
- Nicoya | Costa Rica
- Loma Linda | Kalifornien | USA
Ein Detail bei der Zusammensetzung dieser besonderen Altersgruppe fällt auf: Während Frauen laut der generellen Lebenserwartung älter als Männer werden, halten sich in den Blue Zones Frauen und Männer beim beneidenswerten Altwerden die Waage.
Neun Wege, um 100 zu werden
Natürlich spielen unsere Gene eine wichtige Rolle, wenn es um eine hohe Lebenserwartung geht, doch ebenso wesentlich, wenn nicht sogar etwas wichtiger, ist die Epigenetik, also wie wir mit unserem Lebensstil gewisse Gene erst aktivieren bzw. unsere Gene verändern.
Wir haben uns die neun Faktoren für ein langes, gesundes Leben, die Poulain, Pes und Buettner definiert haben, näher angesehen.
#1 Gesunde Ernährung
Viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und eine moderate Menge Fisch und Fleisch, zu 90 Prozent aus eigenem oder lokalem Anbau und weitestgehend ohne Konservierungsstoffe, machen die Ernährung in den Blue Zones aus.
#2 Die 80 Prozent-Regel
Blue-Zones-Bewohnerinnen und -Bewohner essen mit Maß und Ziel, bis sie sich zu etwa 80 Prozent satt fühlen und genießen die kleinste Mahlzeit des Tages am späten Nachmittag oder Abend. Groß aufgetischt und geschlemmt wird nur, wenn Gäste eingeladen sind.
#3 Ein Gläschen Wein
Zum Essen oder wenn man mit Freunden und Familie in geselliger Runde sitzt, dürfen ein, zwei Gläser Wein sein. Alkohol wird generell sehr moderat konsumiert – außer bei den Adventisten in Loma Linda, die aus religiösen Gründen abstinent leben – und ist immer mit Gemeinschaft und Beisammensein verbunden.
#4 Natürliche Bewegung
Viele der Blue-Zones-Bewohnerinnen und -Bewohner leben und arbeiten in einem Umfeld, das sie ständig dazu anregt oder es notwendig macht, sich zu bewegen. Sie gehen nicht ins Fitnesscenter oder laufen Marathons, sondern arbeiten stattdessen ohne Maschinen im Garten, legen beim Schafehüten viele Kilometer zu Fuß zurück und sind so körperlich über die Maßen fit und stark.
Dazu eine Anekdote von Michel Poulain:
Ein Freund von ihm – zu dem Zeitpunkt 52 Jahre alt – verlor auf Ikaria gegen einen 102-Jährigen im Armdrücken.
#5 Sinn im Leben
Am Morgen aufzustehen und zu wissen, wofür man aufsteht, verlängert das eigene Leben exponentiell. Welchen Sinn man im Leben findet, ist dabei sehr individuell, in den Blue Zones aber kaum mit materiellen Dingen verbunden. Geld und Vermögen spielen hier eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist es, neue Dinge zu schaffen, sich gegenseitig zu helfen und der Gemeinschaft dienlich zu sein.
#6 Stress abbauen
Viele Menschen, die in den Blue Zones leben, sind selten mit Stress konfrontiert und wenn es doch so ist, haben sie Rituale und Routinen, um diesen abzubauen. In Okinawa nimmt man sich jeden Tag ein paar Minuten Zeit, um der Vorfahren zu gedenken, die Adventisten beten, die Ikarier machen ein Nickerchen und die Sarden kommen zum Feierabend-Plausch zusammen.
#7 Zugehörigkeit spüren
Ein Großteil der Blue-Zones-Bewohnerinnen und -Bewohner ist religiös und in den zugehörigen Glaubensgemeinschaften aktiv. Man muss aber natürlich nicht gläubig sein, um diesen Punkt in sein Leben zu integrieren. Mit Menschen zusammenkommen und sich über gemeinsame Interessen und Gedanken auszutauschen, ist auch im Buchclub, Turnverein oder der Yoga-Gruppe möglich.
#8 Im engsten Kreis bleiben
Die meisten der interviewten 80- bis 100-Jährigen leben zusammen mit jüngeren Familienmitgliedern oder in der Nähe von ihnen und werden in den Alltag und Familienaktivitäten eingebunden. Diese lebenslange aktive Rolle im Kreise geliebter Menschen senkt auch das Risiko, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken: Sind in unseren Breitengraden rund 30 Prozent der über 90-Jährigen dement, so sind es in den Blue Zones lediglich 10 Prozent.
#9 Freunde fürs Leben
Gesunde, bereichernde Freundschaften und soziale Netzwerke beeinflussen unseren Lebensstil maßgeblich, denn die Verhaltensweisen unserer Freundinnen und Freunde übertragen sich oft ganz unbewusst auf uns.
Blue Zone selbstgemacht
Keine Sorge, du musst als Konsequenz nun nicht deinen Job hinschmeißen und Schafhirte auf Sardinien werden, um 100 Jahre alt zu werden. Sich selbst komplett aus dem gewohnten Lebensumfeld zu reißen, kann nämlich auch jede Menge Stress bedeuten und den gilt es ja, wann immer möglich, zu vermeiden. Sinnvoll ist es, die Erkenntnisse der Blue Zones auf das eigene Leben zu übertragen und in unseren Alltag zu integrieren.
In den USA wird dies in sogenannten „Blue Zone Communities“ gelebt. 16 Counties und Regionen setzen hier diverse Maßnahmen, basierend auf den Erkenntnissen der Blue Zones, um. So werden beispielsweise in den Restaurants kleinere Portionen mit natürlichen Inhaltsstoffen serviert, die Softdrinks und Knabbergebäck im Supermarkt ganz nach hinten verbannt und die Geh- und Radwege ausgebaut. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: In manchen Regionen haben rund 30 Prozent mit dem Rauchen aufgehört und es gibt weniger Bluthochdruck, Übergewicht oder hohe Cholesterinwerte. Hier findest du nähere Infos zu dem Projekt und alle Städte, Gemeinden und Regionen, die bereits erfolgreich an dem Projekt teilnehmen.
Serien-Tipp | Live to 100: Secrets of the Blue Zones
Für alle, die noch mehr über die Blue Zones erfahren möchten, empfiehlt sich die Netflix-Miniserie „Live to 100: Secrets of the Blue Zones“, die 2023 erschienen ist. In den vier Folgen der Serie bereist Dan Buettner die unterschiedlichen Blue Zones und stellt die Frage, wie man die Erkenntnisse in rasant wachsende Städte wie beispielsweise Singapur übertragen kann.
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