Wie interaktive Spiele und Virtual Reality die Rehabilitation nach traumatischen Hirnverletzungen unterstützen und verbessern können.
Dass Spielen das Lernen erleichtert und Freude bereitet, wissen die meisten aus der eigenen Kindheit. Angefangen von Bauklötzen, die in passende Ausbuchtungen eingefügt werden, über Erfolgserlebnisse, wenn wir ein Rätselspiel lösen konnten, bis hin zu sozialen Komponenten, wenn wir beim Spiel mit anderen kooperieren oder auch schon mal konkurrieren. Um das Neu- und Wiedererlernen geht es auch im Kontext der Rehabilitation, z. B. nach Gehirnverletzungen durch Unfälle oder Schlaganfälle. Die motorische und kognitive Rehabilitation von Menschen mit traumatischen Hirnverletzungen bietet zahlreiche Möglichkeiten für innovative und digitalisierte Behandlungsansätze.
Von Robotern und virtuellen Realitäten
Neben dem Einsatz von Robotik für eine möglichst schnelle Vertikalisierung und das Gangtraining, werden zur Mobilisierung und vor allem zur Förderung der kognitiven Fähigkeiten immer mehr interaktive Computerspiele und Virtual Reality-Anwendungen entwickelt. Die Gamification, also die Übertragung von spieltypischen Elementen und Mechanismen in einen nicht-spielerischen Kontext, verspricht gleich mehrere Vorteile im Bereich der Neurorehabilitation. Durch die spielerische Komponente können die Motivation und die sich wiederholenden, aufgabenorientierten Trainings spannender gestaltet und kontinuierlich gesteigert werden. Zudem erhalten die Patientinnen und Patienten ein Feedback in Echtzeit und können im Fall von mobilen Anwendungen oder Spielen, die einfach auf einem regulären PC installiert und genutzt werden können, diese bequem und regelmäßig in den eigenen vier Wänden nutzen und so eine Versorgungslücke schließen.
Studieren und probieren
Aktuell gibt es zu der Wirksamkeit der digitalen Gesundheitsanwendungen im Bereich der Neurorehabilitation noch relativ wenige Studien oder Langzeitstudien. Einige der Studien, die es bereits gibt, wurden 2022 in einer systematischen Überprüfung evaluiert und in der frei zugänglichen Zeitschrift für Neurowissenschaften „Brain Sciences“, die monatlich von MDPI veröffentlicht wird, publiziert. Dabei wurden Studien, die auf Cochrane Library, PEDro, PubMed und Scopus zwischen Januar 2012 und September 2022 veröffentlicht wurden, durchsucht und überprüft und schlussendlich 29 in die genauere Auswertung mit hineingenommen. Neben diversen Robotik-Anwendungen wurde unter anderem auch das nicht-immersive Virtual-Reality-System BTS Nirvana in einer klinischen Studie mit 100 Patientinnen und Patienten mit traumatischen Hirnverletzungen getestet. Die Studie kam zu vielversprechenden Ergebnissen und konnte eine deutliche Verbesserung in den Bereichen der kognitiven Flexibilität, Aufmerksamkeitsverlagerung, visuellen Suche sowie bei exekutiven und visuell-räumlichen Funktionen sichtbar machen.
BTs Nirvana genauer betrachtet
Die Anwendung, die vom italienischen Unternehmen BTS Bioengineering entwickelt wurde, besteht aus Sensoren, Videoprojektoren für Boden und Wand, einer Webcam, einer Konsole, der Software und dem Nirvana-Brain. Trotzdem benötigt Nirvana keinen eigenen Raum, sondern kann bequem in bereits dafür vorgesehenen Therapieräumen integriert werden. Die Patientinnen und Patienten können sich frei von Brillen, Handschuhen oder Sensoren in den Anwendungen bewegen und werden zu aktiven Protagonisten innerhalb ihrer Behandlung. Die Übungen sind in sechs Bereiche eingeteilt und wurden in enger Zusammenarbeit mit Gesundheitspersonal entwickelt. Während der Übung misst das Programm in Echtzeit die Fortschritte der Patientinnen und Patienten und erstellt einen gut lesbaren Bericht.
Auf die Reise mit Koji’s Quest
Auf eine Abenteuerreise begeben sich Spielende bei Koji’s Quest, einem Rehabilitations-Spiel, das von der niederländischen Firma NeuroReality entwickelt wurde. Es ist als Medizinprodukt der Klasse I zertifiziert und nimmt Patientinnen und Patienten mittels VR-Brille und Controllern mit auf eine Reise, bei der sie diverse Aufgaben mit variablen Schwierigkeitsgraden bewältigen müssen. Um sich zwischendurch auszuruhen, gibt es Meditations- und Ruheräume, und wer an manchen Tagen etwas mehr Zuspruch benötigt, bekommt einen virtuellen Begleiter zur Ermutigung zur Seite gestellt.
Vielfalt mit MindMaze
Das 2012 in der Schweiz gegründete Unternehmen MindMaze bringt Neurorehabilitation mit Freude am Spielen zusammen. Das interaktive Spiel MindPod Dolphin konnte in Testverfahren bis zu zweimal so gute Ergebnisse bei Patientinnen und Patienten in der ersten Phase nach einem Schlaganfall erzielen, als es bei der ausschließlichen Anwendung regulärer Therapien der Fall war. Therapeutinnen und Therapeuten sind interaktiven Anwendungen zur Unterstützung der Neurorehabilitation verständlicherweise manchmal skeptisch gegenüber. Diesem Aspekt widmet sich eine Fokusgruppen-Studie, bei der vier Therapeutinnen am Johns Hopkins Hospital in Baltimore das Programm MindPod Dolphin bei Patientinnen und Patienten in der ersten Phase nach einem Schlaganfall anwendeten. Dabei wurde klar, dass die Skepsis durch eine gute Schulung, schriftliche Begleitmaterialien und die Zuverlässigkeit des Programms genommen werden konnte. Zudem berichteten die Therapeutinnen, dass die Anwendung ein ganzheitliches, herausforderndes, aber auch motivierendes Spiel möglich macht.
Therapie to go
Während in den ersten Phasen nach einer traumatischen Hirnverletzung die Anwesenheit und Kontrolle der Therapeutinnen und Therapeuten während der Anwendung der interaktiven Spiele definitiv erfordert, gibt es auch Gesundheitsanwendungen, die in der fortgeschrittenen Neurorehabilitation eingesetzt und von Betroffenen selbstständig oder natürlich auch weiterhin zusammen mit den Therapierenden verwendet werden können. Die ebenfalls von MindMaze entwickelte interaktive digitale Gesundheitsanwendung MindMotionTM GO wiederum wird in rund 90 Gesundheitszentren bereits erfolgreich zu Therapiezwecken eingesetzt und kann von Therapeutinnen und Therapeuten auch überwacht und begleitet werden, wenn die Betroffenen damit in ihren eigenen vier Wänden trainieren. Das Training fokussiert sich auf die oberen Extremitäten und kann mit Spielen, die motivieren und Spaß machen, unterschiedliche Ziele therapeutisch unterstützen, wie z. B. das Heben des durch einen Schlaganfall beeinträchtigten Armes, das Greifen oder das Lehnbewegungen auf die von Hemiparese betroffene Körperseite.
Handschuh für virtuelle Realität
Vom US-amerikanischen Unternehmen Neofect gibt es drei Produkte, die mit spielerischen Anwendungen kombiniert werden können. Der Smart Glove wird beispielsweise an der beeinträchtigten Hand angebracht, um in weiterer Folge spielerische Übungen wie Ballwerfen oder Orangen auspressen auszuführen. Mittels des Smart Boards kann funktionelles Armtraining durchgeführt und z. B. bestimmte Formen gemalt oder Gegenstände in einer spielerischen Umgebung von A nach B geräumt werden. Smart Balance wiederum konzentriert sich auf Stabilität beim Gehen und Stehen sowie Gleichgewicht. Mittels einer drucksensiblen Matte können Balance- und Koordinationsübungen ausgeführt werden.
Meist erprobte Methode
Die von der italienischen Khymeia Group entwickelte VRRS-Methode erlaubt es Therapeutinnen und Therapeuten, dank mehrerer in diversen Studien getestet und für hervorragend befundener Produkte, die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten zu trainieren und zu verbessern. Beispielsweise VRRS Evo, mit dem die oberen Extremitäten trainiert werden und bei dem die einzelnen Hubs auch miteinander verbunden werden können, wodurch Therapeutinnen und Therapeuten mit mehreren Betroffenen gleichzeitig arbeiten können. VRRS Evo ist mit mehr als 800 klinisch getesteten Übungen mit immersiven und nicht-immersiven Szenarien, mit künstlicher Intelligenz und einem Bewertungssystem, das visuelles, akustisches und taktiles Feedback erzeugt, ausgestattet. Mit dem praktischen HomeKit können Patientinnen und Patienten das immersive Therapie-Erlebnis einfach in ihr Zuhause und ihren Alltag integrieren.
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