Wir sehen uns an, wie die Künstliche Intelligenz Krankheiten schneller und präziser vorhersagen kann, welche rechtlichen Aspekte dabei zu beachten sind und welche Unternehmen und Universitäten sich mit ihren Entwicklungen einen Namen machen.
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde und aktuell der Algorithmus, wo jeder mit muss. Wir stellen eine Frage oder geben eine Anweisung und die KI gibt uns mithilfe der ihr zur Verfügung stehenden Daten eine Antwort, schneller als jedes menschliche Gehirn es jemals könnte. Im Bereich Gesundheit könnte diese schnelle und präzise Verarbeitung in Zukunft zu großen Entlastungen führen – sowohl organisatorisch als auch finanziell – und eine bessere, individuelle Versorgung von Patientinnen und Patienten möglich machen.
Einsatz von KI im Gesundheitsbereich
Laut der PwC-Studie „Sherlock in Health“ sind 64 Prozent jener Personen, die im Gesundheitssektor Unternehmensentscheidungen treffen, davon überzeugt, dass KI das deutsche Gesundheitssystem grundlegend verändern wird. Aktuell setzen allerdings erst 30 Prozent der deutschen CEOs im Gesundheitswesen KI-Lösungen ein. Diese Diskrepanz erklärt sich mit der Tatsache, dass für die umfangreiche Nutzung von KI im Gesundheitsbereich erst eine Basis von großen Datenbeständen gelegt werden muss. Dabei gibt es vor allem Herausforderungen, wenn es um ethische Fragen, Regulatorik und Datenschutz geht. Wer übernimmt beispielsweise die Verantwortung für die Diagnose, die eine Patientin oder ein Patient durch einen Algorithmus gestellt bekommt und wie werden die riesigen Datenmengen, die als Basis gespeichert und verarbeitet werden müssen, geschützt? „Responsible AI“ und „Digital Trust“ sind in diesem Zusammenhang Begrifflichkeiten der Stunde. Ein erster gesetzlicher Schritt in eine schützende und regulierende Richtung ist der European Artificial Intelligence Act, die weltweit erste umfassende KI-Verordnung. Ihr müssen Unternehmen selbst folgen und AI Governance zu einem fixen Bestandteil ihrer Compliance- und Datenschutz-Vorgaben machen.
Vor- und Nachteile der KI
Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hat einige mögliche positive und negative Wirkungen von KI im Gesundheitsbereich definiert. Nutzen und Chancen wären z. B. Qualitätsverbesserungen, Kosteneinsparungen, effizientere Abläufe und die Stärkung der Souveränität von Patientinnen und Patienten. Dem gegenüber stehen vor allem die Gefahr von falschen oder zweifelhaften Therapieempfehlungen, unzureichendem Datenschutz, ungeklärten Haftungsfragen und negativen Auswirkungen auf das professionelle Rollenverständnis.
Vorgaben müssen sein
Neben rechtlichen Fragen ist auch noch zu definieren, wie eine Künstliche Intelligenz bewertet. Wir gehen davon aus, dass ein Algorithmus Daten ver- und bewertet, ohne sich dabei an Meinungen oder Vorurteilen zu orientieren – alles was zählt, sind Zahlen, Fakten, Wahrscheinlichkeiten und neutrale, rationale Schlussfolgerungen. Doch so einfach ist es nicht. Vor dem Training der künstlichen Intelligenz müssen Maßstäbe definiert werden. An einem solchen Regelwerk arbeitet beispielsweise Prof. Dr. Bert Heinrichs. In der Forschungs- und Arbeitsgruppe „Neuroethik und Ethik in der KI“ erarbeitet der Ethiker am Forschungszentrum Jülich Grundsätze für künftige KI-Trainingsprogramme. Wie wichtig diese Richtlinien sind, zeigt beispielsweise eine Studie im New England Journal of Medicine aus dem Jahr 2020, in der die systematische Benachteiligung von People of Color durch medizinische Algorithmen analysiert wird. So werden PoC z. B. bei Risikoeinschätzungen als weniger akut bewertet, was die Behandlung stark beeinflussen kann oder mitunter sogar dafür sorgt, dass Menschen nicht auf die Warteliste für eine Organtransplantation kommen. Initiativen wie die gemeinnützige Organisation AlgorithmWatch haben es sich zur Aufgabe gemacht, Richtlinien und Rahmenbedingungen der künstlichen Intelligenz im Blick zu haben und Entwicklungen in diesem Bereich kritisch zu hinterfragen.
Hürdenlauf Richtung Zukunft
In ihrer Zusammenfassung der vorläufigen Ergebnisse definierte die Projektgruppe Gesundheit der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz des Deutschen Bundestags bereits 2019 zehn Handlungsempfehlungen. Unter anderem spricht sich die Projektgruppe für eine umfassende Strategie in der Aus- und Weiterbildung aus, damit KI-Expertise in allen Gesundheitsbereichen verankert werden kann und Förderinstrumente für Start-ups zu öffnen, um ein attraktives Umfeld für die Gesundheitswirtschaft zu etablieren.
Zu der Erkenntnis, dass es, um den Bereich KI für die Gesundheitsvorsorge voranzubringen, andere Rahmenbedingungen für Start-ups und KMU benötigt, kommt auch das 2022 veröffentlichte Whitepaper der Plattform „Lernende Systeme“. Die Finanzierung und die „Inbetriebnahme“ der Anwendungen im Gesundheitsbereich sind aktuell noch ein bürokratischer Hürdenlauf. Zudem fehle es an Expertise und Besonderheiten künstlicher Intelligenz wie eine mögliche Veränderbarkeit der Funktionsweise würden noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Bauchspeicheldrüsenkrebs früh erkennen
Besonders auf zwei Gebieten ist die Künstliche Intelligenz bereits jetzt unglaublich weit: bei der Bilderkennung und im Bereich Predictive Analytics, also dem Vorhersagen von Risiken und Krankheitsverläufen. Forschende der Universität Harvard haben in Zusammenarbeit mit der Universität Kopenhagen in einer Studie nachgewiesen, dass Künstliche Intelligenz bei der Früherkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs helfen kann, einer der tödlichsten Krebsarten der Welt, die meist viel zu spät erkannt wird. Verschiedene Versionen des KI-Modells wurden mit Datensätzen aus 6,2 Millionen Akten von Patientinnen und Patienten aus dem Gesundheitssystem Dänemarks aus den vergangenen 41 Jahren trainiert. 24.000 der Personen entwickelten im Laufe ihres Lebens Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der Algorithmus konnte in den Datensätzen Muster erkennen, die Hinweise auf die spätere Entwicklung der Krebsart geben. Jener Algorithmus, der die genauesten Ergebnisse brachte, wurde anschließend von den Forschenden mit dem Datensatz von drei Millionen Patientinnen- und Patientenakten aus den USA gespeist. Menschen mit Diagnosen wie z. B. Anämie, Typ-2-Diabetes, Gallensteinen, Problemen mit dem Magen-Darm-Trakt oder die eine Bauchspeicheldrüsenentzündung hatten wurden vom Algorithmus in die Risikogruppe für Bauchspeicheldrüsenkrebs eingeteilt. Natürlich können diese Symptome auch auf andere Erkrankungen hinweisen oder zu ihnen führen. Aber durch diese Risikoanalyse können Ärztinnen und Ärzte weitere, genauere Untersuchungen und Analysen durchführen.
Behandlungsvorschau bei Prostatakrebs
Auch bei Prostatakrebs kann die KI weiterhelfen. Bislang wird anhand von Werten, die durch die Analyse von Gewebeproben ermittelt werden, festgestellt, ob bei einer Prostatakrebserkrankung die operative Entfernung der Prostata die beste Behandlung darstellt. Die Methode ist jedoch nicht nur invasiv, sondern vor allem auch nicht sehr präzise. Ein Forschungsteam an der MedUni Wien verfolgte im Rahmen einer Studie das Ziel, ein neues KI-basiertes Lernmodell zu entwickeln, das mittels Multiomics-Technologie den Tumor genau bewerten kann. Bei der Multiomics-Methode werden verschiedene Datenquellen wie genetische Informationen, Ergebnisse aus pathologischen Untersuchungen und bildgebende Merkmale integriert. Die in diesem Projekt eingespeisten Daten stammen von 146 Patienten im Zeitraum von Mai 2014 bis April 2020, denen die Prostata operativ entfernt wurde. Die Studie konnte die Veränderungen der Prostata bereits wesentlich genauer und zuverlässiger einschätzen. Ein solches Modell könnte in Zukunft Hochrisikopatienten noch schneller helfen und auf der anderen Seite unnötige Eingriffe vermeiden.
Radiologie von morgen
Mit Hilfe von Deep Learning kann das von Siemens Healthineers entwickelte System AI-Rad Companion Auffälligkeiten auf Bildern, beispielsweise aus dem CT oder der MRT, erkennen und automatisch markieren. In einer Schnelligkeit und Genauigkeit, die nicht einmal für radiologisch gut trainierte Augen möglich ist.
Präventiv gegen Alzheimer
Alzheimer verläuft oftmals 15 bis 20 Jahre lang symptomfrei und schon lange gibt es die Hoffnung, mit einem Tool, das eine frühe Diagnose ermöglicht, die Krankheit zu verlangsamen oder sogar aufzuhalten. Das Uniklinikum Tübingen hat zusammen mit einem KI-Entwickler die Software AIRAscore entwickelt, die es möglich macht, den Unterschied zwischen alterstypischen und ersten Anzeichen einer Krankheit auf MRT-Bildern zu unterscheiden. Das Programm erkennt auf Basis künstlicher neuronaler Netze bereits kleine Abweichungen. Auch KI-gestützte Sprachanalysen könnten in Zukunft eine Früherkennung von Alzheimer möglich machen. Dabei sprechen Patientinnen und Patienten kurze Texte nach und die Audiodateien werden von der KI auf Abweichungen geprüft, die vermuten lassen, dass bei der Person erste kognitive Einschränkungen bestehen.
Plazenta vermessen und Leben retten
Prof. Dr. Julia Schnabel, Professor für Computational Imaging und AI in Medicine an der Technischen Universität München, forscht in ihrer anderen Funktion als Direktorin des Institute of Machine Learning in Biomedical Imaging bei Helmholtz Munich unter anderem an einem Algorithmus, der die Plazenta schwangerer Frauen vermessen können wird. Ist die Plazenta zu klein, wird der Fötus nicht ausreichend mit Nahrung versorgt und es kann bei einer ausreichend fortgeschrittenen Schwangerschaft notwendig sein, das Ungeborene frühzeitig auf die Welt zu bringen. Da die Plazenta schwierig zu ermitteln ist, orientieren sich Ärztinnen und Ärzte bei der Untersuchung am Wachstum des Fötus. Aus diesem Grund wird eine Unterversorgung des Ungeborenen oftmals sehr spät erkannt und es können bereits bleibende Schäden entstanden sein. Julia Schnabel und ihr Team haben eine Konstruktion mit mehreren Ultraschallköpfen gebaut, die mittels eines Computers die Plazenta vermessen können. Der Computer wird zuvor mit zahlreichen Ultraschallaufnahmen, auf denen die Plazenta markiert wird, damit er lernt, die Plazenta auf Bildern zu erkennen. Von den Schallköpfen kann der Computer fast gleichzeitig Abbildungen speichern und errechnet daraus das Volumen der Plazenta.
Symptome im Check
Das laut Statista mit Stand Januar 2023 bestfinanzierte KI-Start-up im Gesundheitssektor in Deutschland ist Ada Health. Das in Berlin ansässige Unternehmen verfügt über eine Finanzierung von rund 190 Millionen US-Dollar. In der vom Start-up entwickelten App Ada, die für Android und iOS verfügbar ist, können Userinnen und User ihre Symptome eingeben und mittels Dialog mit einem Chatbot Hinweise auf Ursachen und Erkrankungen bekommen. Mit dem Symptom-Tracker kann man wiederkehrende Schmerzen oder Beschwerden im Blick behalten.
Mammografie punktgenau
Als Spin-off des Universitätsspitals Zürich bietet b-rayZ mit der b-box einen smarten Helfer im Kampf gegen Brustkrebs. Die digitale Plattform gibt bei einer Mammografie mithilfe von KI-Algorithmen in Echtzeit Feedback zur Brustdichte und Bildqualität. Sie unterstützt Radiologinnen und Radiologen bei der Diagnose, indem sie Tumorläsionen erkennt und klassifiziert. Zudem automatisiert und überwacht die b-box den gesamten Mammografieprozess und wird bereits von mehreren Brustkrebszentren in Europa eingesetzt. Eine Expansion in den USA ist derzeit im Gange.
KI für Wearables
Das Unternehmen Leitwert entstand bereits 2014 aus einem Robotik-Projekt an der ETH Zürich und entwickelt heute Software für tragbare Sensoren, wie man sie beispielsweise in Smart Watches verwendet. Der Leitwert Device Hub macht es Krankenhäusern und Forschungsstationen möglich, die gemessenen Daten von Patientinnen und Patienten einheitlich und herstellerunabhängig zu erfassen. Damit arbeiten unter anderem bereits das Universitätsspital Basel und die Charité Berlin.
Tipps
Wenn du mehr zu diesem Thema erfahren möchtest, empfehlen wir dir die Folge „Zukunft der Medizin – kann KI heilen?“ aus der Sendereihe WISO, die du in der ZDF-Mediathek noch bis Mai 2026 nachsehen kannst.
Am 25. und 26. November 2024 findet zudem im Van Swieten Saal der MedUni Wien die AI Health Vienna statt, mit spannenden Vorträgen rund um das Thema KI und Gesundheit.
Header © Freepik