Virtuelle Welten halten Einzug in die therapeutischen Berufe und verändern Lern- und Heilprozesse. Wir zeigen innovative, spannende XR-Projekte.
Was vor wenigen Jahren noch wie Science-Fiction klang, ist heute greifbare Realität: Extended Reality (XR) – der Sammelbegriff für Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR) – hält zunehmend Einzug in das Gesundheitswesen. Ob in der Rehabilitation, der Psychotherapie oder der Ausbildung medizinischer Fachkräfte: XR verändert, wie wir lernen, behandeln und heilen.
Von Augmented bis Virtual Reality: Eine Begriffserklärung
Doch was genau steckt hinter dem Begriff „Extended Reality“? XR bezeichnet Technologien, die digitale und reale Welten miteinander verschmelzen. Während VR – also Virtual Reality – die Nutzerinnen und die Nutzer vollständig in eine computergenerierte Umgebung eintauchen lässt, erweitert AR – also Augmented Reality – die reale Welt um virtuelle Elemente – etwa durch Text, Bilder oder Animationen. MR, Mixed Reality, geht schließlich noch einen Schritt weiter: Sie verbindet physische und virtuelle Objekte zu einer interaktiven Einheit, in der beide Welten unmittelbar miteinander reagieren. Gemeinsam ist diesen Technologien ihr immersiver Charakter – sie ermöglichen Erlebnisse, die so real wirken, dass Nutzerinnen und Nutzer in ihnen aufgehen.
Realitäten erweitern: Neue Chancen für Therapie und Rehabilitation
Gerade im therapeutischen Kontext eröffnet diese Immersion neue Perspektiven. XR kann Menschen helfen, körperliche Fähigkeiten zurückzugewinnen, Ängste zu überwinden oder den Heilungsprozess aktiv mitzugestalten. In der Rehabilitation trainieren Patientinnen und Patienten motorische Abläufe spielerisch in virtuellen Alltagsszenarien. In der Psychotherapie werden Betroffene mithilfe virtueller Expositionstherapien behutsam an angstbesetzte Situationen herangeführt – sicher, kontrolliert und individuell anpassbar. Auch für Therapeutinnen und Therapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte entstehen neue Möglichkeiten: XR-basierte Simulationen schaffen realistische Übungsumgebungen für Schulung und Supervision.
Extended Reality markiert damit einen Wendepunkt in der therapeutischen Praxis – hin zu interaktiveren, personalisierten und motivierenden Behandlungsformen. Virtuelle Technologien werden nicht mehr nur als technische Innovation verstanden, sondern zunehmend als Werkzeug für Empathie, Teilhabe und Heilung.
Wir stellen dir einige interessante und innovative Forschungsprojekte von Fachhochschulen und Universitäten im Bereich Extended Reality näher vor.
GreenTouch: Mit Extended Reality zu nachhaltigem Handeln in der Ergotherapie
Das Forschungsprojekt „GreenTouch – XR in Ergo für den ökologischen Handabdruck“ widmet sich der Frage, wie Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten durch Extended Reality (XR) dabei unterstützt werden können, klimafreundliches Handeln in ihre Arbeit zu integrieren. Hintergrund ist die Einschätzung der WHO, dass die Klimakrise das größte globale Gesundheitsrisiko unserer Zeit darstellt – und dass gerade Gesundheitsberufe eine Schlüsselrolle bei der Förderung nachhaltiger Lebensweisen spielen.
Die Ergotherapie hat dabei besonderes Potenzial, denn sie fördert gezielt die Handlungsfähigkeit von Menschen im Alltag – und damit auch deren Fähigkeit, klimabewusst zu handeln. Zwar sind Nachhaltigkeitsprinzipien inzwischen Teil des Berufsethos, doch wie sie praktisch umgesetzt werden können, ist bislang kaum erforscht. Genau hier setzt GreenTouch an.
Im Projekt entwickeln Forschende gemeinsam mit Therapeutinnen und Therapeuten sowie Klientinnen und Klienten immersive Lernumgebungen auf Basis von XR-Technologien, um Klimakompetenzen erlebbar zu vermitteln. Durch virtuelle Szenarien, in denen visuelle, auditive und haptische Reize kombiniert werden, können reale Alltagssituationen simuliert und emotionale Lernprozesse angestoßen werden – ein wichtiger Faktor, um Verhaltensänderungen zu fördern.
Ziele des Projekts sind unter anderem die co-kreative Entwicklung eines XR-Prototyps, die Erstellung eines didaktischen Weiterbildungskonzepts sowie die Publikation eines Handbuchs, das den Einsatz von XR in der Ergotherapie beschreibt. Dabei wird großer Wert auf Partizipation, ethische Standards und die Einbeziehung vulnerabler Gruppen gelegt, die besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.
GreenTouch wird von mehreren österreichischen Forschungseinrichtungen getragen, darunter die FH St. Pölten, das Institut für Höhere Studien (IHS) und das Austrian Institute of Technology (AIT). Das Projekt läuft bis Februar 2027 und wird von der FFG gefördert.
Mit GreenTouch entsteht ein innovativer Ansatz, wie XR-Technologien als Werkzeuge für Nachhaltigkeit und Bewusstseinsbildung in der Ergotherapie genutzt werden können – und wie therapeutische Berufe aktiv zu klimafreundlichem Handeln beitragen können.
XR2ESILIENCE: Virtuelle Resilienztrainings für das Gesundheitspersonal
Das europäische Forschungsprojekt XR2ESILIENCE, geleitet von der Medizinischen Universität Graz, setzt auf Extended Reality (XR), um die psychische Widerstandskraft von Beschäftigten im Gesundheitswesen zu stärken. Angesichts zunehmender Belastung und steigender Burnout-Raten unter Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften entwickelt das internationale Konsortium innovative Trainingsmethoden, die den Umgang mit Stress, Emotionen und Krisensituationen verbessern sollen.
Im Zentrum steht die Entwicklung virtueller Trainingsumgebungen, die reale Belastungssituationen im Klinikalltag simulieren – etwa herausfordernde PatientInnen-Gespräche, Zeitdruck oder emotionale Grenzerfahrungen. Mithilfe von VR-Brillen und immersiven Simulationen können Teilnehmende in einem geschützten Raum erleben, wie sie auf Stress reagieren, und gleichzeitig neue Strategien zur Resilienzförderung erproben.
XR-Technologien bieten hier entscheidende Vorteile: Sie ermöglichen realistische, wiederholbare und personalisierbare Übungsszenarien, die sich einfach an verschiedene Berufsgruppen oder Arbeitsumfelder anpassen lassen – ob Intensivstation, Notaufnahme oder psychiatrische Pflege. So lassen sich Trainingsmodule passgenau für unterschiedliche Belastungsprofile entwickeln.
Die Wirksamkeit der XR-basierten Interventionen wird im Rahmen einer randomisierten Kontrollstudie überprüft. Langfristig sollen die Erkenntnisse auch auf andere Bereiche – etwa Aus- und Weiterbildung, psychologische Schulung oder universitäre Lehre – übertragbar sein.
Mit einer Laufzeit von vier Jahren (Start war im August 2024) und einem Fördervolumen von 5,95 Millionen Euro gilt XR2ESILIENCE als eines der bedeutendsten europäischen Projekte zur Verbindung von Mental Health und XR-Technologie. Neben der Med Uni Graz sind unter anderem die FH St. Pölten, das Leibniz-Institut für Resilienzforschung, die Leuphana Universität Lüneburg und die Mindconsole GmbH beteiligt.
Das Ziel: XR als Werkzeug für mentale Gesundheit zu etablieren – praxisnah, wissenschaftlich fundiert und direkt im Arbeitsalltag des Gesundheitspersonals verankert.
XR-Hub Würzburg: Therapie und Gesundheit neu gedacht
Der XR-Hub Würzburg ist eines der führenden deutschen Forschungszentren an der Schnittstelle von Extended Reality (XR), Gesundheit und Therapie-Innovation. Forschende aus Psychologie, Informatik und Medizin untersuchen hier, wie immersive Technologien Menschen beim Heilen, Lernen und Trainieren unterstützen können – sei es in der Rehabilitation, in der psychologischen Therapie oder in der Ausbildung von Gesundheitsfachkräften.
XR bietet laut den Würzburger Forschenden ideale Bedingungen für therapeutische Anwendungen: Es schafft kontrollierte, realitätsnahe Umgebungen bei gleichzeitig geringem Ressourceneinsatz. Menschen mit Höhenangst können sich beispielsweise gefahrlos virtuellen Höhen aussetzen, um ihre Angst schrittweise zu überwinden. Auch in der Rehabilitation hilft XR, Patientinnen und Patienten zu motivieren und monotone Trainingssituationen in ansprechende, interaktive Erfahrungen zu verwandeln. Gleichzeitig fördert das „Eintauchen“ in den eigenen Avatar Selbstwahrnehmung und Reflexion – ein Potenzial, das zunehmend auch in psychotherapeutischen Kontexten genutzt wird.
Darüber hinaus wird XR im Würzburger Hub eingesetzt, um Gesundheits- und Pflegepersonal praxisnah auszubilden. Virtuelle Simulationen ermöglichen es, komplexe Behandlungs- oder Notfallszenarien gefahrlos zu trainieren und so die Versorgungsqualität langfristig zu verbessern.
Zentrale Projekte des XR-Hub Würzburg im Bereich „Therapy and Health“
- Embodiment Lab: Aufbau eines bayerischen Kompetenzzentrums für digitale Mensch-Modelle, multimodale Interfaces und körperbezogene Interaktionen („Embodiment“) in XR-Umgebungen.
- Homecoming: Ein immersives, gamifiziertes VR-System zur Gehrehabilitation. Patientinnen und Patienten trainieren auf dem Laufband in einer virtuellen Geschichte, die Motivation und Durchhaltevermögen steigert.
- ILAST (Immersive Leg Coordination And Strength Therapy): VR-Training nach Knieoperationen, das Beweglichkeit und Kraft der unteren Extremitäten durch spielerische Übungen fördert.
- Interactive Memories (InterMem): Nutzung von XR und Multimedia, um biografische Erinnerungsarbeit bei Menschen mit Demenz zu unterstützen und emotionale Bindung zu stärken.
- VIA-VR: Entwicklung einer Plattform für VR-Abenteuer und Simulationen in Medizin, Prävention, Therapie und Rehabilitation.
- ViTraS (Virtual Reality Therapy by Stimulation of Modulated Body Perception): Forschung zur gezielten Veränderung der Körperwahrnehmung in VR/AR, um neue Therapieansätze zu ermöglichen – etwa bei Schmerz- oder Essstörungen.
- VR Gait: Untersuchung, wie VR-Technologien die motorische Rehabilitation nach Schlaganfall unterstützen können.
Der XR-Hub Würzburg zeigt, wie virtuelle Realitäten zu realen Fortschritten in Therapie und Pflege führen können – von der motorischen Rehabilitation bis zur emotionalen Selbstreflexion. Das Ziel: XR als festen Bestandteil moderner Gesundheitsversorgung und therapeutischer Ausbildung zu etablieren.
LEAPXR: Extended Reality trifft Unternehmertum in der Gesundheitsausbildung
Das europäische Forschungsprojekt LEAPXR („Linking Education and Applied Practice for Entrepreneurship and Innovation in eXtended Reality“) setzt sich zum Ziel, die Ausbildung im Gesundheitswesen mit Extended Reality (XR) und unternehmerischem Denken neu zu gestalten.
Angesichts einer alternden Bevölkerung, steigender Pflegebedarfe und zunehmender chronischer Erkrankungen geraten Gesundheitssysteme europaweit an ihre Grenzen. XR-Technologien – also Virtual, Augmented und Mixed Reality – bieten hier neue Ansätze: Sie ermöglichen realitätsnahe Simulationen, in denen angehende Fachkräfte komplexe Behandlungssituationen üben, Versorgungsprozesse virtuell durchspielen oder interdisziplinär trainieren können – auch über Distanz hinweg.
LEAPXR ist Teil der European University Alliance E³UDRES² und wird von einem internationalen Konsortium getragen, dem unter anderem die Saxion University of Applied Sciences (NL), die FH Fulda (DE), die JAMK University of Applied Sciences (FI), die UCLL University of Applied Sciences Leuven-Limburg (BE) sowie weitere Partner aus Forschung und Industrie angehören. Das Projekt läuft bis April 2027, wird im Rahmen der EU/EIT HEI Initiative gefördert und befindet sich derzeit in Umsetzung.
Ziele und Ansatz
Das Projekt verfolgt fünf zentrale Ziele:
- Aufbau einer unternehmerischen Hochschulkultur, die Innovation und praxisnahe Problemlösung fördert.
- Entwicklung eines XR-Innovations-Hubs, der Forschung und Wirtschaft enger verknüpft.
- Schaffung offener XR-Infrastrukturen, die für Lehre, Training und Entwicklung zugänglich sind.
- Etablierung praxisorientierter Trainingsmodelle auf Basis von Lean Startup, Design Thinking und agilen Methoden.
- Förderung einer kooperativen, interdisziplinären Innovationskultur über Länder- und Fachgrenzen hinweg.
LEAPXR nutzt hybride Lernformate, die theoretische Grundlagen mit erfahrungsbasiertem Lernen verbinden. Studierende und Forschende arbeiten gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Praxis an realen Projekten, entwickeln XR-Prototypen für den Gesundheitsbereich und testen diese in verschiedenen Anwendungsszenarien. Eine digitale Toolbox unterstützt Lehrende dabei, unternehmerisches Denken dauerhaft in Ausbildung und Forschung zu integrieren.
Langfristig will das Projekt die Innovationskraft Europas im Gesundheitswesen stärken, nachhaltige Technologien fördern und die Ausbildung im Health-Tech-Sektor praxisnäher und zukunftsorientierter gestalten.
PrepaCareXR: Digitale Zwillinge für die Ausbildung im Gesundheitswesen
Das europäische Forschungsprojekt PrepaCareXR entwickelt digitale Zwillinge für das Training im Gesundheitsbereich. Ziel ist es, Lern- und Trainingsumgebungen zu schaffen, die reale klinische Situationen digital abbilden und so praxisnahe Ausbildungen auch im Fern- oder Hybridformat ermöglichen. Durch die Verbindung von ICT-gestütztem Lernen, Extended Reality und interdisziplinärer Zusammenarbeit will das Projekt die Effizienz und Qualität der Gesundheitsausbildung europaweit steigern.
Im Mittelpunkt steht der Einsatz von XR-Technologien (Extended Reality), um Lehr- und Lernprozesse im Gesundheitswesen flexibler, inklusiver und international anschlussfähiger zu gestalten. Studierende und Fachkräfte sollen mithilfe virtueller Simulationen komplexe medizinische und therapeutische Szenarien trainieren können – unabhängig von Ort und Ressourcenverfügbarkeit.
Getragen wird PrepaCareXR von einem internationalen Konsortium aus Forschung, Medizin und Technik, darunter das Centro Hospitalar de Trás os Montes e Alto Douro EPE (PT), die Lapland University of Applied Sciences (FI), die Universidade de Trás-os-Montes e Alto Douro (PT) und die Università degli Studi di Bergamo (IT).
Langfristig zielt das Projekt darauf ab, Gesundheitsausbildung und -training digital und grenzüberschreitend neu zu denken – als Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des europäischen Gesundheitssektors.
XR im Fokus: Weiterführende Lektüre für XR-Interessierte
Pilot-Studie mit XR in der Therapie
Chronische Schmerzen sind ein globales Gesundheitsproblem, das Patientinnen und Patienten körperlich, psychisch und sozial belastet und hohe Kosten für das Gesundheitssystem verursacht. Virtual Reality (VR) bietet die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten im Rahmen der ambulanten Physiotherapie besser aufzuklären und Verhaltensinterventionen umzusetzen. Allerdings fehlt bislang eine standardisierte Strategie zur Integration von VR-Anwendungen in den ambulanten Versorgungsalltag.
Eine aktuelle Pilot-Implementierungsstudie untersucht daher, wie VR-Behandlungen in fünf Physiotherapiepraxen in Deutschland praktisch umgesetzt werden können. Ziel ist es, sowohl Barrieren als auch förderliche Faktoren für die Nutzung von VR zu identifizieren und eine theoriegeleitete Implementierungsstrategie zu entwickeln und zu testen.
Die Studie gliedert sich in vier Phasen:
- Anpassung des VR-Therapieprotokolls an den lokalen Praxisalltag
- Erhebung von Barrieren und Förderfaktoren durch Interviews mit Therapeutinnen und Therapeuten und Entwicklung einer Strategie auf Grundlage theoretischer Modelle
- Umsetzung der VR-Intervention über sechs Monate in den Praxen, begleitet von einer Prozessevaluation
- Auswertung und Feedbackgespräche, um die Strategie zu bewerten
Die Ergebnisse dieser Pilotstudie sollen die Grundlage für größere randomisierte Implementierungsstudien bilden und helfen, VR-Anwendungen künftig systematisch in die ambulante Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen zu integrieren.
Virtual Reality in der Neurorehabilitation
In der Neurorehabilitation – etwa nach einem Schlaganfall – gewinnen XR-Technologien zunehmend an Bedeutung. Studien zeigen: Virtual Reality (VR)- oder Augmented Reality (AR)-Systeme können Patientinnen und Patienten ermöglichen, in virtuellen Welten Bewegungs- und Gleichgewichtsaufgaben zu üben, außerhalb der traditionellen Therapiesituation und mit zusätzlichem Feedback. Beispielsweise lassen sich Gang- oder Armbewegungen im Alltag durch Sensoren erfassen und visuell oder akustisch rückmelden. Damit wird nicht nur das Bewegungstraining intensiviert, sondern gleichzeitig die Motivation und Eigenaktivität der Patientinnen und Patienten gefördert. Allerdings erfordern diese Technologien gute Alltagstauglichkeit und integrative Systeme, damit sie tatsächlich über die Klinik hinaus im Alltag greifen können.
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