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Systemische Fragen in Therapie und Beratung: Techniken zur Förderung von Erkenntnis und Veränderung

Wir geben dir einen Überblick über die unterschiedlichen systemische Fragetechniken, Frage-Kategorien, wie sie im Therapiealltag helfen können und geben konkrete Beispiele.

Systemische Fragetechniken sind ein unverzichtbares Werkzeug für Fachkräfte in Therapie und Beratung. Sie helfen dabei, tiefere Zusammenhänge zu erkennen, Perspektiven zu erweitern und kreative Lösungsansätze zu fördern. Sie können dazu beitragen, Patientinnen und Patienten zu motivieren und die Selbstwirksamkeit zu stärken. Wir geben dir einen Überblick über die unterschiedlichen Frage-Kategorien und darüber, wie systemische Fragen gezielt eingesetzt werden können, um Erkenntnisse zu fördern, Ressourcen zu aktivieren und nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen.

Die Frage-Kategorien auf einen Blick

Folgende Frage-Kategorien gibt es im Bereich der systemischen Fragetechniken, die du in deiner Therapie-Praxis einsetzen kannst und auf die wir in weiterer Folge etwas detaillierter eingehen: 

  1. Ressourcen-Fragen
  2. Zielorientierte Fragen
  3. Perspektivische Fragen
  4. Hypothetische Fragen
  5. Skalen-Fragen
  6. Kopfstand

Ressourcen-Fragen

In dieser Kategorie fragst du alles ab, was deinem Gegenüber dabei hilft, generell oder konkrete Herausforderungen zu bewältigen. Dazu zählen Kompetenzen, positive Erfahrungen, soziale Netzwerke, der eigene Energielevel etc. Diese Fragen sollten gleich zu Beginn gestellt werden, da sie positive Erfahrungen und Fähigkeiten ins Gedächtnis rufen, die als Grundlage für weitere Fortschritte dienen können.

  • Was hat dir in der Vergangenheit geholfen, mit ähnlichen Situationen umzugehen?
  • Wer oder was gibt dir in schwierigen Zeiten Halt oder Unterstützung?
  • Welche deiner Stärken kannst du hier einbringen?

Ausnahme-Fragen

In belastenden Situationen fällt es Patientinnen und Patienten oft schwer, ihre eigenen Ressourcen zu erkennen. Ausnahmefragen helfen, positive Momente hervorzuheben und diese als Ansatzpunkt für Veränderungen zu nutzen.

  • Du sagst, du hast keine Selbstdisziplin, wenn es um Übungen/Umstellungen in deinem Lebensstil geht, die du selbstständig umsetzen sollst. Was gab es für Ausnahmen? Wann hat es geklappt? 
  • Wann hat eine alltägliche Tätigkeit, die dir schwerfällt, denn gut funktioniert? In welchem Rahmen hast du dich befunden? 
  • Du sagst, du seist unproduktiv. Was gibt es für Ausnahmen? Was hast du schon geschafft?

Zielorientierte Fragen

Ziele zu definieren ist ein zentraler Bestandteil jeder therapeutischen oder beratenden Arbeit. Systemische Fragen können dazu beitragen, Ziele konkret und realistisch zu formulieren. Solche Fragen können dabei helfen, messbare Fortschritte zu dokumentieren und können Patientinnen und Patienten motivieren, ihre Ziele aktiv zu verfolgen.

  • Welches konkrete Problem in deinem Alltag möchtest du lösen? 
  • Welche Bewegung möchtest du in sechs Wochen wieder ausführen können? 
  • Welche drei Punkte betreffend deine Ernährung möchtest du im Laufe der kommenden drei Monate fix in deinen Alltag integrieren? 

Perspektivische Fragen

Die Fähigkeit, andere Perspektiven einzunehmen, ist ein wichtiger Schlüssel zu neuen Erkenntnissen. Perspektivische Fragen beleuchten Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln und fördern dadurch Empathie und Verständnis. Diese Fragen regen dazu an, eigene Annahmen zu hinterfragen und mehr Verständnis für die eigene Situation zu entwickeln.

  • Ein guter Freund hat dasselbe Problem wie du. Was rätst du ihm? 
  • Wer in deinem Umfeld würde positiv auf die Umstellung deines Lebensstils reagieren? 
  • Stell dir dich selbst zehn Jahre in der Zukunft vor. Was würdest du deinem heutigen Ich raten? 

Hypothetische Fragen

Hypothetische Szenarien fördern die Vorstellungskraft und öffnen Raum für kreative Lösungsansätze. Diese Fragen laden ein, sich in eine bessere Zukunft hineinzuversetzen und konkrete Schritte dorthin zu entwickeln. Sie können aber auch identifizieren, was deinem Gegenüber generell derzeit im Leben fehlt und dazu einladen, Alternativen zu finden, diesen fehlenden Aspekt in das Leben zu integrieren, bis das Ziel erreicht ist, auf das man aktuell hinarbeitet, z. B. einen anderen Ausgleich für Stress, bis das Knie wieder schmerzfrei bewegt werden und die geliebte Sportart wieder betrieben werden kann. 

  • Stell dir vor, du hast dein aktuelles Ziel erreicht. Was ist nun anders? Wie sieht dein Alltag aus? 
  • Stell dir vor, du bist schon wieder so weit, dein Knie ganz normal bewegen zu können. Was würdest du als Erstes ausprobieren? 
  • Stell dir vor, du wachst morgen auf und ein Wunder ist geschehen. Wie sieht dieses Wunder aus? Was ist für dich persönlich anders? 

Skalen-Fragen

Die eigene Befindlichkeit, den Schmerz, die Schwierigkeit etc. auf einer Skala einzuordnen, kann dabei helfen, Gefühlszustände und Prozesse sichtbar zu machen und eine subjektive Messbarkeit zu erzeugen. Sie helfen auch dabei Fort- oder Rückschritte für die Patientinnen und Patienten, aber auch für dich als Therapeutin oder Therapeut erkennbar zu machen. 

  • Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark sind deine Schmerzen heute? 
  • Wie sicher fühlst du dich beim freien Reden auf einer Skala von 1 bis 5? 
  • Stell dir eine Treppe mit zehn Stufen vor: Auf dem Weg zu deinem persönlichen Ziel – auf welcher Stufe stehst du aktuell? 

Kopfstand

Oft führen Versuche, eine Situation zu verbessern, zu Stagnation oder Überforderung. Die Kopfstand-Methode setzt genau hier an: Statt eine Lösung zu suchen, betrachten wir die Situation aus einem gegensätzlichen Blickwinkel. Was passiert, wenn wir das Problem bewusst verschärfen? Dieser Ansatz erlaubt es, Sorgen und Ängste klar zu benennen, den Druck zu lösen und eine neue, entspanntere Perspektive einzunehmen. Dadurch werden Ressourcen freigesetzt, um aus dem Umkehrschluss konstruktive Lösungen zu entwickeln.

  • Wenn du die Folgen deiner Verletzung absichtlich verschlimmern wolltest, was müsstest du dafür tun? 
  • Was wäre der sicherste Weg, damit du dich noch gestresster fühlst? 
  • Was musst du essen und trinken, um dich so unwohl wie möglich in deinem Körper zu fühlen? 

Nutzen ziehen aus dem Umkehrschluss

Durch das absichtliche „Verschärfen“ des Problems wird oft deutlich, welche Strategien tatsächlich kontraproduktiv sind. Zudem gibt es Raum für humorvolle Reflexion, wodurch ein entspannter Zugang zu Lösungen entsteht. Indem man die Szenarien umkehrt, werden positive Handlungsoptionen sichtbar:

  • Welche Schritte sind das Gegenteil von diesen problemverschärfenden Maßnahmen?
  • Was kannst du tun, um dich auf einen ressourcenorientierten und nachhaltigen Weg zu bringen?
  • Wie kannst du die Faktoren, die dich am meisten stressen, möglichst vermeiden? 

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