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DVE-Kongress 2025: Highlights, Fachvorträge und digitale Impulse für die Ergotherapie

Unser Recap zum DVE-Kongress 2025 in Würzburg – mit spannenden Einblicken, Fachvorträgen und digitalen Trends aus der Welt der Ergotherapie.

Am 15. und 16. Mai 2025 waren wir mit dabei am DVE-Kongress 2025 in Würzburg – ein jährliches Highlight für alle, die in der Ergotherapie tätig sind oder sich für das breite Spektrum der ergotherapeutischen Arbeit interessieren. Unter dem Motto „Challenge accepted!“ bot der Kongress eine inspirierende Plattform für fachlichen Austausch, interdisziplinäre Impulse und spannende Diskussionen rund um aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Berufsfeld.

Mit Vorträgen, Workshops, Gesprächen, Walk & Talks und zahlreichen Begegnungen war der Kongress nicht nur eine fachliche Bereicherung, sondern auch eine wertvolle Gelegenheit zum Netzwerken und gemeinsamen Weiterdenken. In unserem Recap geben wir dir einen Überblick über das Programm, die Ausstellung, die Workshops und die Posterausstellung. Wir teilen aber vor allem auch wertvolle Einblicke und Erkenntnisse aus einigen der Vorträge der ersten beiden Kongresstage.


Begrüßung und Challenges des Alltags

Der DVE-Kongress 2025 startete am Donnerstag mit einer herzlichen Begrüßung durch Andreas Pfeiffer, den Vorsitzenden des Deutschen Verbandes der Ergotherapeutinnen und -therapeuten. Direkt im Anschluss folgte ein bewegender Eröffnungsvortrag von Stephanie Knagge und Esther Bock zum Thema „Herausforderung Alltag“ bei Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung (DIS).

Esther Bock, selbst Betroffene und gleichzeitig Ärztin, gab sehr persönliche Einblicke in ihr Leben mit DIS – einer Störung, die früher als Multiple Persönlichkeitsstörung bekannt war. Sie schilderte eindrücklich, wie belastend der Alltag und die Interaktion mit dem Helfersystem sein können, wenn verschiedene Persönlichkeitsanteile versuchen, die Kontrolle zu übernehmen. Ihre Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem zeigten sowohl Missstände als auch gelungene Ansätze auf und machten deutlich, wie wichtig ein sensibles und angepasstes Vorgehen im therapeutischen Setting ist. Ergänzt wurden ihre Ausführungen durch ihre Ergotherapeutin Stephanie Knagge, die praxisnah aufzeigte, wie Ergotherapie dabei helfen kann, alltägliche Herausforderungen zu bewältigen – auch mit unkonventionellen, individuell abgestimmten Interventionen.

Ein Interview mit den beiden Frauen findest du übrigens auch in Ausgabe 4 der Verbandszeitschrift des DVE „Ergotherapie und Rehabilitation 2025“, erschienen bei einem der beiden Kongresspartner, dem Schulz-Kirchner Verlag.


Ausstellung und Posterausstellung 

Die Pausen zwischen den Vortrags- und Workshopreihen konnten genutzt werden, um die zahlreichen Stände im Erdgeschoss und im ersten Stock zu besuchen. Bei der diesjährigen Fachausstellung waren 70 Aussteller aus unterschiedlichen Bereichen vertreten – von Fachbuchverlagen über digitale Therapietools bis hin zu Kliniken und Hochschulen. Mit dabei waren beispielsweise Stabilo mit seinem ErgoPen® Neo, der fein-, schreib- und graphomotorische Kompetenzen der Klientinnen und Klienten mit standardisierten Aufgaben ermitteln kann, und der Sternwiese-Verlag mit seinen entzückenden Spielen und Büchern

Im Bereich Weiterbildung präsentieren unter anderem Heimerer und das Zentrum für Weiterbildung und Wissensmanagement der OTH Regensburg ihre umfassenden Angebote. Interessante E-Learning-Kurse bietet wiederum ergolearning an und auf die Fort- und Weiterbildung für die Ergotherapie von psychisch erkrankten Menschen hat sich das PsychErgo Institut Marburg spezialisiert. Auf der Ausstellung mit einem Stand vertreten war auch die Zuyd Hogeschool aus den Niederlanden, die einen Bachelorstudiengang Ergotherapie auf Deutsch anbietet. Einer der beiden Kongresspartner – die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege – präsentierte ebenfalls ihre zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten – mit dem BGW lernportal, der BGW akademie und den BGW schu.ber.z

Interessantes zu entdecken gab es auch im Bereich kognitive Therapie sowie Neuro- und Biofeedback mit Ausstellern wie NEUROvitalis, neurocare oder mindfield. Ein neues Highlight der bio-adaptiven Impulstherapie ist der medkey von keytec, der ebenfalls an einem eigenen Stand vorgestellt wurde. Im Plan des Kongresses findest du diese und alle weiteren Aussteller auf einen Blick

Eine andere Form der Ausstellung konnten Besucherinnen und Besucher im oberen Stockwerk neben dem Panoramasaal besuchen. Hier wurden Poster zu unterschiedlichen ergotherapeutischen Themen wie z. B. Ergotherapie mit Kindern mit Hochbegabung, ergotherapeutische Beziehungsgestaltung innerhalb der postoperativen Versorgung von Menschen mit Morbus Dupuytren, KRAH®-basiertes ergotherapeutisches Angebot bei Post-COVID oder Tischtennis bei Parkinson präsentiert. 

Wir haben an ausgewählten Vorträgen teilgenommen, das Kongressprogramm war aber natürlich noch umfangreicher. Alle Vorträge, Workshops, Gespräche und Walk & Talks findest du zusammen mit kurzen Abstracts zu den jeweiligen Themen online im Kongressprogramm zum Nachlesen


Suizidalität im höheren Alter

Im Frankoniasaal ging es am ersten Tag mittags direkt los mit der Vortragsreihe „Geriatrie und mehr“. Besonders eindrucksvoll war der Beitrag zur „Suizidalität im höheren Alter“ – ein nach wie vor tabuisiertes Thema. Der Vortrag beleuchtete das Altern als tiefgreifenden biologischen, sozialen und gesellschaftlichen Prozess, geprägt von Verlusten, Umbrüchen und abnehmender Anpassungsfähigkeit.

Gerade in solchen Übergangsphasen – etwa beim Umzug ins Pflegeheim – entstehen Gefühle von Einsamkeit, Nutzlosigkeit oder Hilflosigkeit. Suizidalität äußert sich dabei vielfältig: von Lebensmüdigkeit und Sterbewünschen bis hin zu Bilanzsuiziden. Alarmierend: Rund 40 Prozent aller Suizide in Deutschland betreffen Menschen über 65 – mit besonders hohen Raten bei Männern über 85.

Risikofaktoren sind u. a. psychische Erkrankungen, soziale Isolation, Armut und Demenz. Altersdepressionen werden oft nicht erkannt oder als normale Alterserscheinung abgetan. Der Vortrag betonte die Bedeutung frühzeitiger Prävention u. a. durch Stärkung von Lebensqualität, sinnstiftende Rollen, offene Gespräche über Suizidgedanken und das Einbinden professioneller Hilfe.

Auch rechtliche Aspekte der Sterbehilfe in Deutschland wurden thematisiert – insbesondere die Grauzonen beim assistierten Suizid bei psychischen Erkrankungen. Abschließend wurde die ergotherapeutische Rolle hervorgehoben: Autonomie fördern, Teilhabe ermöglichen und auf individuelle Biografien und Ressourcen eingehen – immer mit dem Ziel, Lebensqualität im Alter zu erhalten.

Mehr zum Thema psychische Gesundheit im Alter erfährst du im Interview mit der Klinischen- und Gesundheitspsychologin Mag. Birgit Florian


Spezialisierte Schmerzergotherapie

Ein weiterer spannender Vortrag befasste sich mit der spezialisierten Schmerzergotherapie – einem wachsenden Bereich innerhalb der Ergotherapie, insbesondere bei der Behandlung chronischer Schmerzen. Diese gelten laut der IASP inzwischen als eigenständige Erkrankung, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauern.

Gerade im höheren Alter werden Schmerzen oft nicht ausreichend erkannt oder behandelt – häufig gelten sie als „normal“. Die Ergotherapie bietet hier wichtige Ansätze, etwa durch ganzheitliches Clinical Reasoning: Welche körperlichen, psychischen oder sozialen Faktoren erhalten den Schmerz aufrecht? Welche Ressourcen und Barrieren prägen den Alltag der Betroffenen?

Schmerzen werden dabei multidimensional erfasst – u. a. in Bezug auf Verhalten, Emotion, Sensorik und Bedeutung im Alltag. Für Menschen mit Demenz kommen Beobachtungsinstrumente wie BESD, BISAD oder ZOPA zum Einsatz, für andere Klientinnen und Klienten Fragebögen wie das COPM, der Deutsche Schmerz-Fragebogen, die Tampa Scale of Kinesiophobia oder der FEESS-Fragebogen.

Hilfreiche Methoden im Alltag sind u. a. die „Balance-Torte“ zur Visualisierung von Lebensbereichen, individuell angepasste Wochenpläne sowie Modelle wie die „Schmerztorte“ oder das MOM-Modell, die die Schmerzverarbeitung im Gehirn erklären. Auch das „Fassmodell“ verdeutlicht, wie Stress Schmerzen verstärken kann.

Vorgestellt wurden zudem therapeutische Ansätze wie Pacing, Graded Activity, Progressive Muskelentspannung, Spiegeltherapie und Maßnahmen zur Desensibilisierung bei Hyperalgesie oder Allodynie.

Abschließend wurde die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit betont – mit Ergotherapie als zentralem Baustein, der körperliche, psychische und alltagsbezogene Aspekte vereint.


Balanced Approach

Ein weiterer Vortrag widmete sich dem „Balanced Approach“, einem ergotherapeutischen Konzept zur Behandlung von Menschen mit schweren erworbenen Hirnverletzungen – etwa nach einem Schlaganfall. Die zentrale Idee: Kapazität (was jemand unter bestimmten Bedingungen leisten kann) und Performanz (was tatsächlich im Alltag umgesetzt wird) müssen stärker miteinander verzahnt werden. Besonders bei der Wiedererlangung der Gehfähigkeit – einem Schlüsselfaktor für Selbstständigkeit und Lebensqualität – zeigt sich, dass rein betätigungsorientierte Ansätze oder reine Kapazitätsförderung allein nicht ausreichen.

Ein aufgabenorientiertes, hochrepetitives Training verbessert nachweislich die Gehkapazität, doch diese Fortschritte übertragen sich nicht automatisch auf den Alltag. Deshalb plädiert Tiebel für einen integrierten Ansatz, bei dem Kapazitätsaufbau und Alltagstransfer systematisch miteinander verbunden werden. Studien zeigen, dass selbst Gruppen, die nur darüber reflektierten, wie sie neu Erlerntes im Alltag anwenden können, beinahe ebenso große Fortschritte machten wie jene mit zusätzlichem Coaching – ein klarer Hinweis auf die Bedeutung verhaltensorientierter Interventionen.

Das Modell des „Balanced Approach“ empfiehlt daher ein Therapie-Design, das auf mehreren Ebenen ansetzt: Zunächst werden Ziele gemäß dem SMART-Prinzip formuliert und auf der Grundlage der ICF werden sowohl Kapazität als auch Performanz erfasst. Die Therapie selbst folgt einer strukturierten Abfolge: Patientenedukation, gezieltes Kapazitätstraining, die Anwendung im Alltag und abschließend eine Reflexion der Erfahrungen. Dieses strukturierte Vorgehen stützt sich auf lernpsychologische Modelle wie die Skaggs-Robinson-Kurve, die Transferprobleme bei zu starker Trennung von Übung und Anwendung erklärt.

Zusammengefasst betont der Vortrag, dass Gehen lernen mehr ist als Schritte wiederholen: Erst durch die bewusste Integration in alltagsnahe Kontexte und die Kombination aus Training, Coaching und Reflexion entstehen nachhaltige Erfolge – ganz im Sinne einer klientenzentrierten, wirksamen Ergotherapie.


Bilanz zur Blankoverordnung 

Im praxisnahen Vortrag schilderte Ergotherapeut Marwin Gabrecht im zweiten Durchgang an Vorträgen seine Erfahrungen mit der Blankoverordnung – etwas mehr als ein Jahr nach ihrer Einführung. Sie ermöglicht flexiblere Behandlungszeiten, erfordert aber auch ein Umdenken in der Praxisorganisation. So kann nun z. B. eine 45-minütige Handtherapie inklusive Wärmeanwendung bedarfsgerecht umgesetzt werden – statt vorheriger Zeitknappheit.

Gabrecht zeigte anhand von Beispielen, wie mehr Raum für individuelle Therapiegestaltung entsteht. Gleichzeitig berichtete er über Hürden in der Umsetzung: Manche Ärztinnen und Ärzte verweigern die Verordnung aus Sorge vor Kontrollverlust, und Informationsdefizite sorgen für Unsicherheit bei Fachkräften. Eine Teilnehmerin berichtete, dass ein einfaches Infoblatt für Ärztinnen und Ärzte spürbar mehr Verordnungen brachte.

Zum Schluss forderte Gabrecht, die neu gewonnene Therapiefreiheit nicht wieder einzuschränken, sondern als Chance für bedarfsgerechte Versorgung weiterzuentwickeln.


Kinder und Jugendliche empowern 

Im Rahmen der Vortragsreihe „Aus der Pädiatrie“, die wiederum im Frankonisaal stattfand, präsentierten Jutta Berding und Luisa Schade von der Hochschule Osnabrück ein Projekt zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – entstanden im Zuge einer Abschlussarbeit. Im Fokus stand die Frage, wie junge Menschen in ihrer Entwicklung gestärkt und ihre mentalen Gesundheitskompetenzen verbessert werden können. Denn gerade in dieser Lebensphase wirken biologische, emotionale, soziale und kognitive Veränderungen stark auf das Wohlbefinden ein. Die Referentinnen betonten, dass psychische Stabilität im Kindes- und Jugendalter entscheidend ist, um Herausforderungen bewältigen zu können – mit langfristiger Bedeutung für das Erwachsenenalter.

Zahlen der Bundespsychotherapeutenkammer (2023) zeigen einen alarmierenden Trend: Jedes vierte Kind in Deutschland ist von psychischen Auffälligkeiten betroffen – am häufigsten in Form von Angststörungen, Depressionen und dissozialem Verhalten. Besonders gefährdet sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Über 20 Prozent der Kinder in armutsgefährdeten Haushalten zeigen psychische Belastungen.

Als theoretische Grundlage diente das Modell der Salutogenese, das Gesundheit als dynamischen Prozess versteht und auf Ressourcenorientierung, Resilienz und ein starkes Kohärenzgefühl (Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit, Sinnhaftigkeit) setzt. Psychosoziale Schutzfaktoren und die Erwartung an Selbstwirksamkeit spielen dabei eine zentrale Rolle, ebenso wie soziale Unterstützung.

Ein zentrales Konzept war die „Mental Health Literacy“ – also die Fähigkeit, psychische Gesundheit zu verstehen, einzuordnen und aktiv zu fördern. Studien zeigen, dass ein schlechter Gesundheitszustand oft mit geringer Gesundheitskompetenz einhergeht – insbesondere bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status.

Das vorgestellte Präventionsprogramm „Mental Health Coaches“ soll genau hier ansetzen. Es wird bundesweit vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) und den Jugendmigrationsdiensten (JMD) getragen und verfolgt das Ziel, psychische Gesundheit und Resilienz durch bedarfsgerechte Angebote an Schulen zu fördern. Schulen werden dabei als zentraler Lebensraum betrachtet, in dem Kinder und Jugendliche unabhängig von Herkunft oder sozialem Status erreicht werden können. Die Mental Health Coaches arbeiten eng mit schulischen Strukturen zusammen und entwickeln gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern Angebote zur Förderung des Wohlbefindens.

Auch das Potenzial der Ergotherapie wurde hervorgehoben – insbesondere durch ihren personenzentrierten und betätigungsorientierten Ansatz, der Kindern und Jugendlichen ermöglicht, ihre Selbstwirksamkeit aktiv zu erleben.

Das Projekt orientierte sich methodisch am CIPP-Modell nach Stufflebeam (1972) (Kontext, Input, Prozess, Produkt). Erste Ergebnisse zeigten, dass viele Schülerinnen und Schüler stark unter Schulstress leiden, aber auch durch globale Krisenängste belastet sind. Positiv hervorgehoben wurde die gelungene Zusammenarbeit mit der Mental-Health-Coachin und der schulischen Sozialarbeiterin – eine wichtige Voraussetzung, da der Zugang zu schulischen Ressourcen für externe Akteurinnen und Akteure häufig eine Herausforderung darstellt.

Konkret wurde im Projekt eine spezifisch ergotherapeutische Einheit zum Thema „Anti-Stress“ entwickelt und umgesetzt. Diese 90-minütige Intervention umfasste psychoedukative Inhalte, gesundheitsförderliche Aktivitäten sowie eine personenzentrierte Herangehensweise zur Förderung personenbezogener Faktoren und mentaler Fähigkeiten. Die theoretische Fundierung stützte sich auf Erkenntnisse aus Medizin, Psychologie, Pädagogik sowie Gesundheits- und Sozialwissenschaften. Die Einheit bestand aus einer Präsentation mit thematischen Inputs, ergänzenden Arbeitsblättern und praktischen Übungen.

Die Rückmeldungen zeigten ermutigende Ergebnisse: Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler konnten stressausgleichende Strategien benennen, Sinneseindrücke, Gefühle und Gedanken bewusst wahrnehmen und verbalisieren. Besonders eindrücklich war die Wirkung einer angeleiteten Atemübung – viele beschrieben sich im Anschluss als „ruhig“ und „entspannt“ und nahmen diese Erfahrung als hilfreiche Strategie für den Alltag mit.


Digitale Transformation in der Ergotherapie 

Der zweite Kongresstag startete unter anderem mit der Vortragsreihe „Ganz schön digital“ und mit einem spannenden Beitrag zur digitalen Transformation in der Ergotherapie. Sarah Rexter stellte die fyzo App vor und veranschaulichte, wie sich digitale Tools sinnvoll in ergotherapeutische Prozesse integrieren lassen – orientiert am OTPM-Modell.

Der therapeutische Prozess gliedert sich dabei in drei Phasen: Evaluation, Intervention und Re-Evaluation. In der Evaluationsphase erfolgt zunächst eine fundierte Anamnese. Ergänzend werden Instrumente wie das COPM sowie die Betätigungsanalyse nach Ellen Romein eingesetzt. Bei Bedarf werden zusätzlich Assessments auf Körperfunktionsebene durchgeführt, um ein umfassendes Bild der Ausgangssituation zu gewinnen.

In der sich anschließenden Interventionsphase können unterschiedliche Modelle zur Anwendung kommen – je nach Zielsetzung und Bedarf der Klientinnen und Klienten: das kompensatorische Modell, das edukative bzw. lehrende Modell, das akquisitorische Modell sowie das restitutive Modell. Diese Vielfalt erlaubt eine individuelle, zielgerichtete Begleitung im Alltag der Patientinnen und Patienten.

In der abschließenden Re-Evaluationsphase wird das COPM erneut erhoben, um gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten zu analysieren, ob die angestrebten Ziele erreicht wurden. Auf dieser Grundlage werden weitere Entscheidungen zum weiteren Therapieverlauf getroffen.

Die fyzo App unterstützt diesen gesamten Prozess digital und strukturiert – von der Dokumentation über die Zielverfolgung bis zur Reflexion. Sie kann damit eine wertvolle Ergänzung in der ergotherapeutischen Arbeit darstellen, insbesondere im Hinblick auf Transparenz, Nachvollziehbarkeit und klientenzentrierte Prozessgestaltung.


KI-gestütztes Wissensmanagement in der Ergotherapie 

Im Rahmen der Vortragsreihe „Ganz schön digital“ wurde auch das Thema KI-gestütztes Wissensmanagement in der Ergotherapie beleuchtet. Die Spektrum Akademie stellte gemeinsam mit der Technischen Hochschule Brandenburg ein innovatives Projekt vor, das sich mit der Integration von Künstlicher Intelligenz in den ergotherapeutischen Arbeitsalltag beschäftigte. Ziel war es, ein lokales Chat-Tool auf Basis eines Large Language Models (LLM) zu entwickeln, das unabhängig von Cloud-Diensten funktioniert – insbesondere unter Berücksichtigung von Datenschutzanforderungen.

Zu Beginn wurde darauf hingewiesen, dass ChatGPT bereits von vielen Menschen regelmäßig genutzt wird – sei es wöchentlich oder sogar täglich. Dabei bestehen jedoch bekannte Grenzen wie Halluzinationen und Datenschutzprobleme, die im Gesundheitswesen besonders kritisch sind. Daher lag der Fokus des Projekts darauf, eine lokale Lösung zu schaffen, die durch sogenannte Retrieval-Augmented Generation (RAG) funktioniert – eine Technik, bei der ein Sprachmodell mit externem Wissen wie Fachbüchern oder wissenschaftlichen Datenbanken kombiniert wird.

Ein zentrales Thema war die Leistungsfähigkeit von LLMs, die stark von der Anzahl der Knotenpunkte (Parameter) abhängig ist. Zum Vergleich: ChatGPT verfügt über ca. 100 Billionen Knotenpunkte, was enorme Rechenleistungen erfordert – etwa dreimal so viel wie eine normale Google-Suchanfrage. Im Gegensatz dazu arbeiten lokale Modelle wie Llama mit deutlich weniger Knotenpunkten (z. B. 70 Milliarden), was sie zwar ressourcenschonender, aber weniger leistungsfähig macht. Genau hier setzt RAG an, um mit ergänzendem Wissen die Qualität der Antworten zu steigern.

Das Projektteam untersuchte in einer Evaluation mehrere Varianten: drei LLMs ohne RAG (LLaMA-Modelle in unterschiedlichen Ausführungen) sowie ein LLM mit RAG (Orca), das mit verschiedenen externen Wissensquellen wie Büchern, PubMed oder einer Kombination beider gespeist wurde. Interessanterweise zeigte sich, dass PubMed allein bessere Ergebnisse lieferte als die Kombination mit Büchern – möglicherweise, weil zwei unterschiedliche Fachsprachen gleichzeitig verarbeitet werden mussten, was die Systeme überforderte.

Die Qualität der Ergebnisse erwies sich insgesamt als maßgeblich abhängig von der Modellgröße, dem ergänzten Wissen, der Sprache des Modells und der Literaturbasis, aber auch von der Art der gestellten Prompts. So konnten kleinere Modelle durch gezielte Informationsintegration und RAG fast mit größeren Modellen mithalten. Es wurde jedoch betont, dass nur rund 50 Prozent der Antworten korrekt waren – allerdings mit sehr hoher sprachlicher Verständlichkeit.

In der Zusammenfassung wurde deutlich: RAG ist ein sinnvoller Ansatz, insbesondere um datenschutzkonform und mit hochspezialisiertem Wissen zu arbeiten. Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz sind eine Modellgröße ab 30 Milliarden Knotenpunkten, die spezifische Auswahl der Modelle hinsichtlich Sprache und Inhalte sowie eine fundierte Anwenderschulung, um die Qualität und Relevanz der Ergebnisse gezielt zu verbessern.


KI in der ergotherapeutischen Praxis 

Im Anschluss an den Vortrag zum KI-gestützten Wissensmanagement wurde unter dem Titel „KI in der ergotherapeutischen Praxis“ ein Selbstversuch von Claudia Merklein de Freitas von der Zuyd Hogeschool vorgestellt, der sich mit der Anwendung von Künstlicher Intelligenz im diagnostischen Prozess der Ergotherapie beschäftigte. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie KI unterstützend bei der Formulierung ergotherapeutischer Diagnosen eingesetzt werden kann.

Ausgangspunkt war die Vorstellung der ergotherapeutischen Diagnose als zentraler Bestandteil zwischen Evaluation und Intervention. Diese umfasst ein kurzes Resümee, basierend auf Erstgespräch, Akteninformationen, Interviews und Assessments und beinhaltet wesentliche Elemente wie ein Verständnis für die Person, den Kontext, die Betätigungsherausforderungen, die vorhandenen Ressourcen, eine Prognose sowie erste Interventionsansätze. Die ergotherapeutische Diagnose dient dabei als roter Faden, ermöglicht methodisches Handeln, fördert Transparenz und unterstreicht die ergotherapeutische Expertise. Zudem hilft sie bei der Positionierung der Ergotherapie als eigenständige Profession.

Im Rahmen des KI-Experiments wurde Microsoft Copilot genutzt, um eine ergotherapeutische Diagnose für eine Patientin mit Multipler Sklerose (MS) zu formulieren. Der erste Versuch der KI fiel allerdings unspezifisch aus: Zwar wurden Konzepte wie Volition, Habituation und Performanzkapazität angesprochen, jedoch fehlte eine klare Betätigungszentrierung und eine Prognose sowie konkrete Interventionsansätze blieben ebenfalls aus.

Ein zweiter Versuch brachte leichte Verbesserungen, doch die Kritikpunkte blieben bestehen: Es fehlte an Kausalität, die für die Ergotherapie zentrale CMOP-E-Terminologie wurde nicht verwendet, die Prognose blieb vage, und der rote Faden war kaum nachvollziehbar. Auch der dritte Versuch, bei dem der Prompt bewusst verkürzt wurde, konnte nicht gänzlich überzeugen – erneut fehlte eine klare Ressourcenbenennung, umwelt- und personenbezogene Faktoren blieben unterrepräsentiert, und die Interventionsoptionen wurden wieder zu unspezifisch dargestellt.

In den abschließenden Überlegungen betonte die Referierende die Notwendigkeit, Datenschutzaspekte beim Einsatz von KI stets zu beachten. Die KI könne durchaus als Starthilfe dienen – insbesondere bei der Überwindung der „Angst vor dem leeren Blatt“. Gleichzeitig sei es jedoch essenziell, dass ergotherapeutische Terminologie weiterhin geschult und in KI-Systeme integriert wird. Vor allem müsse das eigene Fachwissen aktiv eingebracht und die von der KI generierten Inhalte stets kritisch reflektiert werden.

Zum Abschluss wurden die Teilnehmenden eingeladen, mit der KI selbst zu experimentieren und zu prüfen, wie sie auf bestehende ergotherapeutische Diagnosen reagiert – ein praxisnaher Impuls zur Erprobung von KI-Anwendungen im ergotherapeutischen Alltag.


Pix’ Abenteuer: Grapho- und Schreibmotorik fördern 

Im Vortrag „Pix’ Abenteuer: Grapho- und Schreibmotorik fördern“ stellte das Team der RPTU Kaiserslautern einen digitalen Ansatz zur Diagnostik und Förderung graphomotorischer Fähigkeiten bei Kindern vor: die Graphobox und das darin integrierte Trainingsprogramm „Pix’ Abenteuer“.

Bis zu 30 Prozent der Kinder zeigen graphomotorische Beeinträchtigungen – mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Daher braucht es evidenzbasierte, moderne Methoden, die verschiedene Ausführungsparameter wie Tempo, Qualität, Pausen, Druck und Neigungswinkel präzise erfassen. Der Speed-Accuracy-Trade-off spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Messung erfolgt digital, per Stift auf Papier oder Tablet.

Die Graphobox enthält Aufgaben zum Formenzeichnen und zur visuellen Wahrnehmung, liefert umfassende Parameterdaten und gilt als valides und reliables Messinstrument. Trotz technischer Fortschritte bestehen offene Fragen zur Praxisintegration – z. B. wie bestehende Assessments sinnvoll verknüpft oder Eltern besser einbezogen werden können.

Als spielerisches Training wurden „Pix’ Abenteuer“ entwickelt: Die niederschwellige, gamifizierte Anwendung mit der Figur Pix, verschiedenen Themenwelten und einem optionalen GraphoPen zur präzisen Erfassung der Schreibmotorik hat das Ziel, ein alltagstaugliches, motivierendes Training zu ermöglichen. Sowohl in der Therapie als auch zu Hause.


E-LEFANT – Ein E-Learning-Prototyp für die pädiatrische Ergotherapie 

Im Vortrag „E-LEFANT – Ein E-Learning-Prototyp für die pädiatrische Ergotherapie“ wurde von Wolfgang Scheid (DVE Fachausschuss Pädiatrie) und Jasmin Wallin (Hochschule Bochum) ein innovatives digitales Lernangebot vorgestellt, das Ergotherapeutinnen und -therapeuten dabei unterstützen soll, visuelle Beeinträchtigungen bei Kindern frühzeitig zu erkennen, besser zu verstehen und gezielt zu begleiten. Das Projekt wurde im Kontext der „Dortmunder Seh-Lotsen-Sprechstunde (SLS)“ entwickelt – einem interdisziplinären Angebot zur Förderung von Kindern mit Sehproblemen.

Anhand des Fallbeispiels von Samira, die unter einer binokularen Doppelbild-Sehschwäche im Nahbereich leidet, wurde aufgezeigt, wie komplex solche visuellen Schwierigkeiten sein können – insbesondere wenn sie sich nicht in augenärztlichen Diagnosen widerspiegeln, aber im ergotherapeutischen Alltag deutlich sichtbar sind, etwa bei leseähnlichen Anforderungen oder alltäglichen Tätigkeiten.

Das Ziel sei es, ein starkes Seh-Netzwerk aufzubauen, in dem Kinderärztinnen und -ärzte, die SLS, Schulberatungsstellen, Beratungszentren und Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Sehen eng zusammenarbeiten. Ergotherapeutinnen und -therapeuten sollen hierbei eine aktivere Rolle einnehmen – als „Wecker“, die erste Hinweise liefern und damit notwendige diagnostische und therapeutische Prozesse in Gang setzen.

In der Praxis können sich unterschiedliche Entscheidungswege ergeben: Ein Kind zeigt beispielsweise Leseschwierigkeiten, ermüdet schnell bei Nahaufgaben, und obwohl der augenärztliche Befund unauffällig ist, besteht ein deutlicher Leidensdruck. In solchen Fällen können die Seh-Lotsen-Sprechstunde oder die Förderschule Sehen eingebunden werden. Zeigen sich hingegen Hinweise auf den Nutzen visueller Hilfsmittel, sollte eine vertiefte augenärztlich-orthoptische Diagnostik priorisiert werden.

Das E-Learning-Tool E-LEFANT bietet eine strukturierte und praxisnahe Unterstützung: Es enthält Erklärungen zu augenärztlichen Befunden, um deren Bedeutung im Alltag besser einordnen zu können, und gibt konkrete Hinweise, wie mit Kindern gearbeitet werden kann. Zentral sind dabei die fünf Förderfaktoren: Vergrößerung, Kontrast, Beleuchtung, Komplexität und Platzierung – sie helfen dabei, visuelle Schwierigkeiten differenziert zu erkennen und zu adressieren.

Da die Versorgung solcher Kinder oft mehrjährige Wege umfasst, können Ergotherapeutinnen und -therapeuten durch gezielte Beobachtung und Anwendung fundierter Kenntnisse diese Prozesse deutlich abkürzen. Das notwendige Grundlagenwissen lässt sich niederschwellig über die E-LEFANT-Plattform erwerben, die sich derzeit in der Pilotphase befindet.

Das große Interesse wurde deutlich: Für die geplante Weiterbildung über E-LEFANT gibt es bereits eine Warteliste. Nähere Infos erhalten Interessierte bei den beiden Vortragenden Jasmin Wallin unter jasmin.wallin@hs-bochum.de und Wolfgang Scheid unter praxis@wolfgangscheid.de

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